Die Depression der Babyboomer


Sind wir fit für unsere Zukunft?

„Alt werden ist nichts für Feiglinge.“ Das hat der liebe Joachim Fuchsberger selig festgestellt. Und sogar ein Buch darüber geschrieben. Alt werden, das ist nicht nur eine Zunahme von Malaisen. Alt werden ist nicht nur ein Verlust an Energie und Vitalität. Alt werden ist vor allem eine herbe Belastung für das psychische Immunsystem.

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Alter heißt: schon pensioniert sein bzw. in Rente sein. Das heißt, das gewohnte Leben ist vorbei. Und egal, wie sehr man den Ruhestand herbei gesehnt haben mag, es ist erst mal gar nicht schön, seinen täglichen Rhythmus zu verlieren. Und gar nichts mehr zu sagen zu haben, gar nicht mehr gebraucht zu werden. Und Ehe oder Partnerschaft sind auf dem Prüfstand, wo man jetzt dauernd aufeinander sitzt. Und so toll sind die neuen Hobbys, die man sich ausgedacht hat, wenn man ehrlich ist, nicht.

Sehenden Auges aufs Abstellgleis

Und auch die Zeit vor dem Ende des Arbeitslebens ist nicht schön. Wichtige neue Projekte laufen an einem vorbei, man ist ja bald weg. Die eigene, so wichtige Erfahrung, wird nicht mehr gebraucht, wird nicht mehr wertgeschätzt. Man fährt sehenden Auges aufs Abstellgleis. Eine eklige, niederschmetternde Erfahrung.

An diesem Punkt wird jeder gezwungen inne zu halten und einen Blick auf sein Leben zurück zu werfen. Und wer es da versäumt hat, für sich zu sorgen, emotional, ideell – und natürlich finanziell, wie soll der noch gute Laune haben? Wer jetzt nicht auf ein wirklich gelungenes Leben zurück blicken kann – und jetzt mal ehrlich und keine Lebenslügen! -, der hat eigentlich kaum noch eine Chance, das wirksam zu ändern.

Die Auflösung des Vertrauten

Rund um einen herum ändert sich währenddessen die Welt in atemberaubendem Tempo. Internet, Smartphone, Soziale Medien – alles ganz schlimm. Und so sehr man darüber schimpft, es nützt nichts. Man muss mit – oder wird abgehängt. Schlimmstenfalls von der eigenen Ehefrau, die sich das Internet von Kindern oder Enkeln hat beibringen lassen. Von den Kindern! Den Enkeln!!!

Und dann diese Globalisierung. Alles wird so fremd. Die Worte, die Gesichter, die Sprache, die Nachbarn, die Produkte. Und jetzt auch noch all diese Flüchtlinge. Millionen von ihnen. Schwarze! Araber! Muslime! Frauen mit Kopftuch! Das darf doch nicht wahr sein. Die haben noch ihr Leben vor sich – und wir sollen ihnen noch dabei helfen.

Depression, die Boomkrankheit

Die Psychologie kennt das Phänomen gut: Altersdepression. Menschen über 65 neigen dazu. Sie sind dreimal so anfällig für Depression wie jüngere Menschen. Schätzungen gehen davon aus, dass bis zu 25 Prozent der Senioren darunter leiden. Vorzugsweise Männer. Und in Altenheimen sind die Zahlen noch verheerender, da sind fast die Hälfte depressiv. Und Depression ist die Boom-Krankheit schlechthin!

Diagnostiziert und behandelt werden diese Depressionen kaum. Denn alte Menschen geben nur körperliche Malaisen zu, psychische nie: „Ich bin doch nicht verrückt.“ Also werden die körperlichen Symptome der Altersdepression behandelt, nicht aber die Ursachen: die geknickte Psyche.

Typische Symptome der Altersdepression sind:

  • Negative und pessimistische Zukunftsperspektiven
  • Vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen
  • Gefühl von Schuld und Wehrlosigkeit
  • Angstzustände
  • Suizidgedanken

Die Folgen: Verzweiflung, Aggression, Ohnmachtgefühle, Narzissmus (mangels Selbstwert), Wut, Schuldzuweisungen, Empathieverlust, Rigidität etc.

Gegenmittel: ein geglücktes Leben

Warum ich das schreibe? Ja, auch ich werde älter. Ja, auch ich erlebe Malaisen. Aber ich habe den großen Vorteil, dass ich vor ca 20 Jahren sehr drastisch und effektiv vor der Altersdepression aus berufenem Mund gewarnt worden bin. Zitat: „Herr Konitzer, Sie haben es jetzt noch in der Hand, im Alter griesgrämig auf der Bank zu sitzen – oder gut gelaunt den Lebensnachmittag und -abend zu genießen.“

Ich habe mich damals für Zweiteres entschieden und etliche Dinge in meinem Leben – und vor allem in meinem Psychosystem geändert. Ich hoffe, nachhaltig erfolgreich. Auch ich kenne die schwarzen Vögel, die manchmal über einem kreisen. Aber ich weiß inzwischen, wie ich den Blick von ihnen wenden kann und dem Leben zu.

Der Booster nach rechts

Ich erlebe aber rund um mich herum Altersgenossen, die das nicht gemacht haben. Und mit ihnen zu diskutieren, wird immer schwieriger. Speziell natürlich zum Thema Flüchtlinge. Oft ist die rigide Haltung erschreckend: Grenzen dicht, alle raus, und zwar sofort. Etwa in der Tonlage. Meist verschwiemelt und nur dumpf. Aber wehe, das Thema kommt irgendwie zur Sprache. Und das kommt es heutzutage unweigerlich.

Die Altersdepression und ihre Auswirkungen, das sind jetzt die Probleme der Generation der Babyboomer. Die Ältesten von ihnen, Jahrgang 1946, werden dieses Jahr 70, die Jüngsten, Jahrgang 1964, sind auch schon 52 – und habe es nicht mehr soooo weit hin zur Rente. Und genau diese Generation muss sich jetzt entscheiden, ob sie unsere Welt, Europa und Deutschland nach rechts drängt oder ob sie sich, allen innerem Grummeln zum Trotz, für eine offene, tolerante und vielleicht sogar innovationsfreundliche Gesellschaft erwärmen kann.

Mut machen statt Katastrophismus

Schön wär’s. Wir haben hierzulande keinen Macron, der mit seiner Art einem ganzen Volk Mut, gute Laune und Kraft geben und den Weg in eine offene Gesellschaft verheißungsvoll machen kann. Da ist auch keiner in dieser Art in Sicht. Merkel? Schulz?? Lindner??? Schade. Aber glücklicherweise droht auch kein Rattenfänger rechts von der Mitte.

Bliebe als Hoffnung, dass die Medien endlich ihren Alarmismus und Katastrophismus, ihren Zynismus und ihre akademische Version von Altersdepression beenden und in kritischer Haltung Mut machen sowie die zunehmend schnellere Veränderung der Welt erklären und moderieren. Ich werde versuchen, das an dieser Stelle hier auch weiter zu tun.

In diesem Sinne: Die Zukunft ist da! – Meine Prognosen, was auf uns in den nächsten Jahren alles zukommt, habe ich in einem Vortrag bei den Lokalrundfunktagen in Nürnberg zusammengefasst.

Die Slides dazu sind hier zu finden: www.slideshare.net/MichaelKonitzer/die-zukunft-ist-da-jetzt-aber-echt

Der Soundfile des Vortrages ist hier: soundcloud.com/michkon-1/die-zukunft-ist-da-jetzt-aber-echt

 

Welten mit Zacken


Die vergangene Kunst des Briefmarkensammelns

„Briefmarken waren Fenster in wunderschöne fremde Welten. Kleine Fenster mit gezackten Kanten, kleine Bildschirme auf denen wunderschöne bunte Bilder projiziert waren. Sie waren nicht besonders wertvoll, aber die bunten Farben, die stolzen Köpfe von Monarchen, die exotischen Vögel und andere Tiere, die majestätischen Schiffe und Flugzeuge, die dort abgebildet waren, waren faszinierend.“

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Die blaue und die rote Mauritius, die teuersten Briefmarken der Welt

Schöner habe ich das weit verbreitete Hobby der Nachkriegszeit, das Briefmarkensammeln, nie beschrieben erlebt wie im Thriller von Peter Robinson „No Cure for Love“. Diese Sätze haben mir geholfen, wieder ein wenig mehr von meinem Vater zu verstehen, der mit Hingabe, Geduld und Fleiß Briefmarken gesammelt hat.

Mit Pinzette und Lupe

Ich habe ihn als Kind oft beobachtet, wie er mit Pinzette und einer dicken Lupe bewaffnet über seine Briefmarkenalben gebeugt saß und die Briefmarken ergänzte, vorsichtig neu sortierte oder auch nur betrachtete. Sie waren nach Ländern und Motiven geordnet und waren am Ende als er – früh – starb, in ca. 25 Alben sortiert. Der Großteil waren Briefmarken aus Deutschland, West und Ost, vor dem Krieg und nach dem Krieg. Aber auch die fernen Kontinente waren umfangreich vertreten und natürlich alle Länder Europas.

So haben mir die Briefmarken eine solide Grundbildung in Geografie und Historie vermitteltet. Ich wusste, wo die verschiedenen Länder der Welt lagen, wie ihre Oberhäupter aussahen, ihre Trachten, technische Errungenschaften und Naturschauspiele (samt Flora und Fauna). Ich kannte Hindenburg und Hitler, erlebte in absurden Preisaufdrucken die Inflation nach dem ersten Weltkrieg und die Ausdehnung des Deutschen Reiches nach Afrika und Asien – lange bevor das im Geschichtsunterricht durchgenommen wurde.

Der Fetisch der Ersttagsbriefe

Und ich kannte die DDR sehr gut, samt ihren Parolen und ihrer martialischen Staatskunst. Meine Tante, die Schwester meines Vaters, arbeitete in der DDR bei der Post und so bekamen wir alle Neuerscheinungen samt Ersttagsbriefen komplett frei Haus, gestempelt und ungestempelt. Ersttagsbriefe! Es war noch ein Ereignis, wenn neue Briefmarken ausgegeben wurden. Old School-Marketing.

Ich habe nie darüber nachgedacht, was meinen Vater dazu gebracht hat, Briefmarken zu sammeln. Dazu war dieses Hobby in den 50er- und 60er-Jahren zu normal, weit verbreitet und gut beleumundet. Es war der anerkannte Zeitvertreib. Frauen legten Patiencen, Männer widmeten sich ihren Briefmarkensammlungen. Das war der Zeitvertreib vor TV und Internet.

Bildung mit kleinen gezackten Bildchen

Peter Robinson öffnete mir jetzt eine ganz andere, neue Perspektive, dieses Hobby anzusehen. Briefmarken waren wirklich Fenster in andere, fremde Welten. In andere Länder und andere Zeiten. Es war der kleinstmögliche Fernweh-Fetisch – und ein klein wenig auch ein Grundkurs in fremden Sprachen. Man wusste immerhin, wie die länder sich selbst nannten. Sverige war Schweden, Norge Norwegen. Frankreich war France und die Schweiz Helvetia. Und natürlich lernte man auch die fremden Währungen kennen.

Mein Vater hatte definitiv Fernweh. Das erste Mal kam er wohl unfreiwillig aus Deutschland heraus, als Soldat nach Frankreich. Da zog es ihn nach seiner schweren Kriegsverletzung dank der Resistance nie wieder hin. Dafür aber immer und immer wieder nach Italien. Aber auch nach Spanien und sogar Marokko. Das war damals ein Abenteuer, da fuhr man Anfang der 60er Jahre per Schiff hin, von Genua aus.

Die Hoffnung auf den großen Gewinn

Das Fernweh war so groß, dass mein Vater schon Anfang der 50er Jahre italienisch lernte und es gut und flüssig sprach. Er übte ja auch viel. Am liebsten wandte er es in länglichen Preisverhandlungen für Souvenirs und Schmuck für seine Frau an. Da war er in seinem Element obwohl er sonst, was Geld und Finanzen anbetraf, eher unbedarft und ängstlich war, Kriegskind (2 Weltkriege) und Flüchtling (auch 2 mal), der er war.

Ach ja, ein bisschen Lotteriespiel war das Briefmarkensammeln ja auch. Immer wenn mein Vater mit einer neuen dicken Tüte voller en gros gekaufter Briefmarken nach Hause kam, war beim ersten Checken und Vorsortieren auch immer die Hoffnung dabei, dass in dem Haufen eine ganz seltene, wertvolle Briefmarke dabei sein könnte. Keine blaue Mauritius, aber wenigstens ein Fehldruck oder eine seltene Marke ungestempelt.

Das private Fort Knox

Und natürlich war der offizielle Grund des Briefmarkensammelns, dass das eine erstklassige Wertanlage wäre, die kontinuierlich im Wert steigen würde. Für mich waren die Alben als Kind so etwas wie unser ganz privates Fort Knox. Ein buntes Sammelsurium an Wertpapieren mit gezahnten Kanten.

Ich habe die Briefmarkensammlung Mitte der 90er Jahre verkauft. Nach drei Umzügen mit der geerbten Sammlung hatte ich genug davon. Die Wertanlage stellte sich als eher dürftig heraus. Ich bekam gerade mal 6.000 Mark dafür. Herzlich wenig für die ausdauernde und penible Arbeit, die mein Vater in seine Sammlung investiert hat. Aber inzwischen hatte das in Flugzeugen und Autos ausgelebte touristische Fernweh längst diese winzigen Bildchen entwertet.

Wenn Träume Träume bleiben dürfen

Danke an Peter Robinson, dass er mir den Wert der kleinen Bildchen wieder zurückgegeben hat und er die Erinnerung an meinen Vater um eine wunderschöne Facette ergänzt hat. Eine Facette mit gezackten Kanten, ungestempelt und völlig neu gedruckt.

Briefmarken: Eine sehr ökologische Art, Fernweh auszuleben, ganz ohne Billigflieger, Autobahnstau, Touristenschwärme und Kreuzfahrtschiffe. Eine sehr phantasievolle Art von Fernweh: Die kleinen Bildchen mussten schließlich in der eigenen Imagination zum Laufen gebracht werden. Eine Erinnerung an eine Zeit, in der unsere Träume noch nicht wahr geworden sind, sondern nur geträumt wurden.

[Übrigens: Peter Robinson und vor allem seine Inspektor-Banks-Serie sind mein Favorit, wenn es um – britsche – Krimis geht. Vor allem, weil man dabei auch eine Menge erstklassiger Musik-Tipps bekommt – von Klassik bis Pop und Rock. Und gut geschrieben sind sie sowieso alle.]

Die Verdummung Amerikas


Jede Kritik an ihm macht Trump stärker

Als Mensch, der in der Schule Rhetorik am Beispiel eines Cicero nahe gebracht bekommen hat, ist jede Rede von Donald Trump eine Pein. Nicht dass man im Römischen Reich vor 2.000 Jahren nicht auch gelogen hat, dass sich die Balken (der Rednerbühnen?) gebogen haben. Ein Julius Cäsar hatte einen ähnlich kreativen Umgang mit Fakten und Wahrheiten wie die Populisten heute. Aber ihm gelang es wenigstens, einen Gedanken nach dem anderen verständlich zu formulieren.

Donald Trump Hairstyle

Anders Donald Trump. Wenn er frei spricht, schafft er es ohne Anstrengung (wahrscheinlich genau deswegen!) in gestoppten 32 Sekunden Redezeit sieben Themen nacheinander anzureißen, ohne eines davon zu irgendeinem Ende zu bringen. Jeder Goldfisch wäre mit solch einer Rede unterfordert, wie der britische Comedian John Oliver scherzt (min 6:20).  Nichtsdestoweniger bekommt er viel Beifall bei solchen Reden. Nicht nur von seinen Claqueuren, die er zu allen seinen Reden mitbringt. (Hat er sich von Putin & Co. oder auch den alten Römern abgeschaut.)

Realitäten aus Wolkenkuckucksheim

Egal welche öffentliche Rede man sich von Trump anschaut/anhört. Egal wie gruselig die Inhalte sind, wie viel gelogen wird und Tatsachen verdreht werden, Trump begeistert seine Massen. Er tut das um so mehr, je weniger er an einem Redemanuskript hängt. Frei spricht er am erfolgreichsten. Vor allem auch, weil er dann völlig unbekümmert die Realitäten beschreiben kann, wie er sie sich in seinem Wolkenkuckucksheim (derzeit Pennsylvanian Avenue 1600) zurechtgezimmert hat.

Ich habe einige Zeit gebraucht, bis ich verstanden habe, was Trump in seinen Reden so erfolgreich macht. Vor allem, weil man ja so konsterniert ist über seine billige Art, Beifall zu heischen. „Fremdschämen“ ist als Ausdruck zu harmlos, wenn man seine Lügen und Verdrehungen hört und seine mangelnde Kenntnis von Grundwissen live erleben muss.

Monolog unter Gleichgesinnten

Tatsache ist, dass Trump rein gar nicht zu Menschen wie mich und Unsereinem spricht. Er spricht ausschließlich zu Seinesgleichen. Zu Menschen, die genauso ungebildet, vorurteilsbesessen, banal und stumpf sind wie er selbst. Zu Menschen, die genauso gerne an Verschwörungstheorien glauben wie er, die ebenso Gutmenschen und treue Steuerzahler verachten. Kurzum, die sich vom politischen, wissenschaftlichen und gesellschaftlichen System abgehängt fühlen; weil sie weniger Bildung, weniger Geld, weniger Chancen und weniger Perspektive haben. Ausgerechnet sie haben in ihm, dem reichen Söhnchen, der Chancen im Übermaß hatte, ihr Idol gefunden.

Trumps Geheimnis ist auch seine banale Sprache. Linguisten haben es analysiert: Es ist der Sprachstil eines Viertklässlers. Sein Wortschatz ist extrem begrenzt, er nutzt nur kurze Worte und Begriffe, malt damit aber prägnante Bilder. Er grenzt keinen Zuhörer durch zu viel Zahlen, Wissen, Fremdwörter oder komplexe Inhalte aus. Das ist nicht neu, das hat schon Berlusconi und anderen seines Kalibers zum Erfolg verholfen. Aber Trumps Sprache ist zudem grammatikalisch brutal primitiv. Sie ist stets nur eine Aneinanderreihung von kurzen Sätzen, unterbrochen nur von Inklusions-Gesten nach dem Motto: Wir verstehen uns, wir sind die, die fürs Richtige kämpfen.

Ausgrenzung der Etablierten

Mit seiner Art zu reden – und seinen Inhalten – grenzt Donald Trump wirksam die Andersdenkenden, die Gebildeten, die Wissenden und die Menschen aus, denen Komplxität keine Angst macht. Daher geht die Philippika des Schriftststellers und Intellektuellen Philipp Roth gegen Trump in der New York Times ins Leere: „Ich habe noch nie einen Politiker erlebt, der menschlich so armselig ist, wie Trump: Er hat keine Ahnung vom Regierungsgeschäft, von Geschichte, Wissenschaften, Philosophie oder Kunst. Er ist unfähig, Subtiles oder Nuanciertes auszudrücken oder zu verstehen, er kennt keine Scham und sein Wortschatz umfast gerade mal 77 Wörter.“

Trumps Sprachstil und seine Inhalte sind sogar das perfekte Gegenmittel gegen Kritik solcher Art. Seine Sprache ist, TV-Reality-geübt, das perfekte Antidot (Achtung, Fremdwort) gegen jeden Intellektualismus, gegen das Establishment und ihre kulturellen, sprachlichen und wissenshuberischen Ausgrenzungsriten. Sie schafft ein heimeliges Zugehörigkeitsgefühl der Zu-kurz-Gekommenen, der Ungebildeten und Unwissenden, der Chancenlosen. Sie fühlen sich ernst genommen, sie haben das Gefühl, verstanden zu werden, weil sie diesen Trump verstehen. Und zum Dank nehmen sie ihm auch noch jeden Unsinn ab und bejubeln ihn.

Die gespaltene Gesellschaft

Trump und seine Unterstützer haben kapiert, dass die amerikanische Gesellschaft (und nicht nur die) brutal gespalten ist: Zwischen urbanen, besser gebildeten und sensibel sozialisierten Menschen und den von Bildung und Jobchancen abgehängten ländlichen Gebieten im amerikanischen Kernland: der Heimat der Republikaner und der Religiösen, der von Arbeit und Chancen beraubten Arbeiter, der unteren Mittelklasse. Trump baut durch seine hypersimple Sprache eine veritable Mauer zwischen Stadt und Land.

In den ländlichen Gebieten ist man von Bildung, Wissen und der Vielfalt urbaner Gesellschaft und urbaner Medien abgeschnitten und dafür heimgesucht von beredten Spinnern, Predigern und Talkradio-Hosts, die Verschwörungstheorien und Unbildung verbreiten und das Sprachniveau längst auf niedrigstes Niveau gebracht haben. Überraschend, dass ausgerechnet ein New Yorker diesen niedrigen Sprachlevel genau trifft. Donald Trump ist der lebende Beweis dafür, dass auch ein New York Weltläufigkeit nicht garantieren kann.

Jede Kritik hilft Trump

Es nutzt daher nicht, wenn wir jede der Reden Trumps analysieren, wenn wir deren Fakten penibel checken oder uns auch nur lustig über ihn machen. Wir sind Trump so egal wie sonst was. Wir sind der Feind, und jede kritische Anmerkung, sei sie noch so richtig, klug oder feinsinnig, verstärkt nur die Wirkung seiner Reden bei seiner Zielgruppe. Jede Kritik der Intellektuellen lässt Trump in den Augen seiner Fans noch mutiger, noch entschlossener und wichtiger wirken.

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Nein, der gebe ich keine Hand! Die ist ja Physikerin!

Der verweigerte Händedruck mit Merkel und der pöbelhafte Auftritt Trumps bei der NATO und der G8 waren kein Zufall. Das war jeweils eine Konfrontation mit dem Feind: Angela Merkel, eine Wissenschaftlerin, Physikerin sogar, die Rationalität liebt, das ist für Trump, den Pöbler und Gernegroß, die Personifizierung des Anti-Trump. Und jedes Merkel-Bashing oder die anhaltenden Beleidigungen des Londoner Bürgermeisters, einem Intellektuellen und Muslim, bringt Trump Punkte bei seinen Fans und Wählern. Und Trump hat nie aufgehört Wahlkampf zu machen, jetzt schon für die Wahl 2020.

Die De-Intellektualisierung der USA

Spannend wird sein, ob Trump es schafft, der Dummheit in Amerika auf Dauer eine Mehrheit zu geben und die amerikanische Gesellschaft erfolgreich zu de-intellektualisieren und damit zu de-politisieren. Spannend wird sein zu beobachten, ob und wie es Wissenschaft, Intellektualität und Vernunft schaffen, wieder von den Abgehängten und Unterprivilegierten, von den Unwissenden und Ungebildeten gehört und verstanden zu werden.

Das ist die Herausforderung, vor der wir auch in Europa im Angesicht von Populismus und rechten Rattenfängern stehen. Wie ist es zu schaffen, die wirtschaftliche und die intellektuelle Spaltung unserer Gesellschaft zu bremsen oder gar aufzuheben? Nur mit schönen Worten geht das wohl nicht. Aber ebenso wenig mit einer Infantil-Sprache à la Trump.

 

 

Darth Vader von nebenan


Die Lust an der Angst

Unsere Welt ist zugegeben arg unübersichtlich geworden. Nichts ist mehr fix, alles im Fluss. Es gibt keine Wahrheiten mehr – eher viel zu viele davon. Das Wissen explodiert, kein Mensch kann da mehr mithalten. Gefühlt wird man jeden Tag dümmer. Der Gang der Dinge scheint unaufhaltsam, die Illusion, mit seiner Wahlstimme die Weltläufe ein wenig beeinflussen zu können, ist längst dahin. Es gibt keine Wahrheiten mehr – eher viel zu viele davon. Und wer an dieser Stelle einwirft: „Fake news!“, der ist der größten medialen Blendgranate zum Opfer gefallen. (Anstrengend, aber lohnend zu lesen (engl.): „The Deep Truth about Fake News“.

Shouting screaming person with open mouth

All das zusammen produziert das irritierende Gefühl, in einer Art Treibsand geraten zu sein – und in ihm allmählich unterzugehen. Kontrollverlust allenthalben. Stabile Gemüter retten sich mit medialen Enthaltsamkeitskuren: No news, no Social Media.. Denn egal was passiert, die Welt dreht sich weiter. Vorausgesetzt wir kümmern uns aktiv darum, dass wir Teil davon sein dürfen.

Im Treibsand der News gefangen

Trotzdem bleibt immer ein unangenehmes, tief im Innersten nagendes Gefühl, letztlich nur ein kleiner, unbedeutender Wicht zu sein. Man ist viel zu oft nur Zuschauer (oder Voyeur) im eigenen Leben, das an einem vorbei läuft, ohne Kenntnis von einem zu nehmen. Dieses innere Gefühl von Leere und Hohlheit ist nur ganz schwer zu ertragen. Von vielen gar nicht. Denn es setzt eine sehr seltene Mischung aus Demut und Selbstbewusstsein voraus.

Wem solche Talente nicht gegeben sind, hat nur zwei Alternativen: die resignative Wurstigkeit und ein Leben in der schalen Spaßgesellschaft. Oder eine hyperaktive, depressive Hysterie. Diese Menschen steigern ihr Unbehagen über Modernitätsdefizite und Kontrollverlust in Ängste und Aggression. Für sie steht der Untergang Deutschlands und des gesamten Abendlandes kurz bevor. Sie verabschieden sich aus der realen Welt und lassen sich in einer gefühlt schlimmen Parallelrealität verschlingen. Sie werden zur Gartenzwergversion von Darth Vader.

Die Hysterie der Angst

Aus ihrer angstgesteuerten Situation heraus verlieren diese Menschen jedes Maß und jede Scheu. Sie schlagen wie wild argumentativ um sich – manchmal auch nicht nur argumentativ. Sie ziehen die Legitimation ihrer aggressiven Argumentation und Handlungen aus der Größe ihrer Aufgabe. Schließlich müssen sie – zusammen mit Gleichgesinnten – die Welt retten. Wahlweise vor Flüchtlingsströmen, den Muslimen, dem IS, dem Niedergang der deutschen Heimat, der Leitkultur – oder auch des Finanzsystems. Und ihre Wut und ihr Hass richten sich gegen die, die ihrer Meinung nach dafür verantwortlich sind, dass die Welt aus den Fugen geraten ist: Gutmenschen, Linke, Journalisten, Merkel – you name it.

In einem ebenso zurückgenommenen wie dabei eindrucksvollen Artikel im Spiegel hat Christian Stöcker die Hassmails von Lesern in seinem Artikel „Sehnsucht nach dem Grauen“ analysiert. Er beschreibt die in sich konsistente verzerrte Wirklichkeit solcher Menschen, die sich darin so sicher fühlen, dass sie Gewaltphantasien gegen die Familie des Autors sogar mit vollem Namen samt akademischem Grad zeichnen.

Sucht nach Gräuel

Die Quintessenz der Analyse von Christian Stocker erklärt sehr treffend die dunkle Energie solcher Menschen, die den rechten Rand unserer Gesellschaft derzeit scheinbar so zahlreich werden lässt. Die Wirklichkeit dieser Menschen ist durch ihre Filterblase und ihren selbstreferenziellen Medienkonsum völlig verzerrt. (Christian Buggisch hat den rechten Filterbubble, den er authentisch recherchiert hat, in einem sehr guten Vortrag beschrieben und analysiert.)

Die Kluft zwischen dieser Welt und der real existierenden führt aber eigentlich zu einer schmerzhaften kognitiven Dissonanz. Die wird allerdings mit aller Macht kaschiert. Daher die Aggression gegen Lügenpresse, gegen die Propaganda von Gutmenschen. Sie alle sind schuld an der kognitiven Dissonanz. Was nicht sein kann, darf dann auch nicht sein. Und parallel dazu werden alle Informationen, die das eigene, düstere Weltbild bestätigen, hysterisch überhöht. Und es entsteht eine wahre Sucht nach schlimmen Nachrichten und Gräueltaten, die ihre Weltsicht bestätigen.

Apokalypse als Heilmittel

Christian Stöcker: „Konsonante Information wird aufgewertet, und so ist jede Straftat und jeder Terrorakt den Untergangspropheten in Wahrheit hochwillkommen. So sehnen sich Menschen wie der Mailschreiber augenscheinlich danach, dass ihre entsetzlichen Ängste endlich Wahrheit werden. Nur, damit dieses unangenehme Gefühl im Kopf endlich aufhört.“

Irgendwie so muss es sich unter dem schwarzen Plastikhelm von Darth Vader auch anfühlen. Als Heilmittel hilft nur die Apokalypse. Darunter machen wir es in Deutschland nicht…

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Das Post-Effizienz-Zeitalter


Lehrstunde in Südafrika

Manchmal ist es ebenso peinlich wie hilfreich, deutsches Denken ausgetrieben zu bekommen. Wir fuhren mit unseren Freunden über den Highway im südlichen Südafrika. Vor uns ein Pickup mit Einheimischen. Es verging kein Kilometer, an dem nicht irgendeine Büchse, ein Papier oder sonstiger Müll aus dem Auto auf der Straße oder im Straßengraben landete. Dem schaute ich eine Weile zu – und konnte irgendwann nicht umhin, eine sehr deutsche Bemerkung zu machen. Irgendwie von der Art, das gehört sich doch nicht. Wahrscheinlich war es nicht ganz so neutral formuliert.

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Unsere Freunde, er weißer Südafrikaner, sie Deutsche, klärten uns geduldig auf. Das sei nicht Umweltverunreinigung, sondern ein sehr bewusster Akt schwarzer Solidarität und konsequenter Arbeitsbeschaffung. Da der Müll ja irgendwann aufgesammelt werden muss, und das natürlich von schwarzen Arbeitern erledigt wird, sorgten die Autoinsassen vor uns sehr gewissenhaft dafür, dass Landleute von ihnen einen – gut bezahlten – Job als staatlicher Straßenmüllbeseitiger bekommen und immer genug zu tun haben. Es gibt halt immer auch eine alternative Sicht auf Verhaltensweisen. Lesson learned.

Zettels Alptraum

Solch solidarisches Verhalten, das uns Deutschen als hahnebüchene Effizienzvernichtung vorkommt, kann man auch bei jedem Besuch bei einer Bank in Italien erleben. Jede Überweisung (im Inland!) ist ein arbeitsintensiver Kraftakt mit einer (ständig wechselnden) Zahl von Zetteln, Formularen und Anweisungen, zu dem der zuständige SchalterBEAMTE immer unterstützende Hilfe von anderen Kollegen braucht. Und das jedes Mal, weil es immer irgendwie andere Regeln und Prozeduren gibt. Will man einen Scheck einreichen (Inland!), geht erst mal gar nichts, weil das Vorgehen erst noch in der Zentrale geklärt werden muss. Und das kann schon mal Tage dauern.

Alles kein Scherz. (Man erträgt es aber nur mit viel Humor.) Aber es ist eben kein Zufall, dass in den Banken im Land stets eine Vielzahl von Bearbeitern herumwuseln, die ja alle irgendwie ihre Daseinsberechtigung und Tätigkeit nachweisen müssen. Also macht man alles so kompliziert wie möglich. Krönung des erlebten realen Wahnsinns. Eine geschlagene Stunde Wartezeit in einem Postamt, weil die Kundin vor einem ein neues Konto eröffnet. In der Stunde wurde inklusive ein paar Computerabstürzen ein mehr als daumendicker Stapel an Papieren kreiert. Je einer für die Post und einer für den Kunden. Effektiver ist ein Kampf gegen Rationalisierung und Jobabbau  kaum denkbar.

Wer braucht Tegel?

Es ist sehr deutsch, sich über die Ineffizienz aufzuregen. Ein Reflex, der uns sehr leicht von der Hand geht. Schließlich haben wir ja auch einen Ruf zu verlieren, wir Deutsche, die anerkannten Weltmeister der Effizienz. Wo man auch hinkommt in der Welt, ist neben Beckenbauer, Müller (Thomas!), Schweinsteiger, AUDI, Mercedes, BMW (nein, Opel nicht), Erdinger und Jägermeister vor allem unsere deutsche Effizienz, die gelobt wird: pünktliche Züge, funktionierende Luftlinien, streikfreie Produktion und in Großbritannien auch gerne der Blitzkrieg.

Man muss nur mal kurz nach Berlin fliegen, um hautnah zu erleben, wie absurd das Vorurteil deutscher Effizienz sein kann – selbst wenn man einen großen Bogen um BER, das Phantom eines Flughafens, macht. Dafür reicht der alte Flughafen Tegel locker. 15 Minuten Warten, bis an den Flieger, der pünktlich gelandet ist, endlich die Fluggastbrücke gefahren ist. Dann warten auf das Gepäck, das eigentlich nur einen Steinwurf weit transportiert werden muss. Und klar, kein Bus wartet an den Haltestellen. 15 weitere Minuten später kommen denn drei TXL-Busse hintereinander dahergefahren. Effizienz, Berlin-style. Und klar: Berlin braucht Tegel – so der Slogan der FDP(!)-Bürgerinitiative.

Lob der Ineffizienz

Unser Wohnsitz-Hopping zwischen Italien, Erding und Berlin ist immer auch ein Effizienz-Hopping: Italien relaxt, Erding funktionabel, Berlin chaotisch – und retour nach Erding/München. Die unterschiedlichen Effizienzlevel und die unterschiedlichen Arten von Verpeiltheit haben uns sehr geduldig und sehr kreativ in der Entschlüsselung der verschiedenen Effizienz-Defizite gemacht.

Ineffizienz ist auf alle Fälle eine gut funktionierende Waffe gegen Effizienz-Wahn. Das öffnet den Blick auf die uns Deutschen immanente Lust an Zackigheit. Wie sehr wir uns dafür selbst blauäugig an die Kandare nehmen und Freiheiten allzu freiwillig abgeben, wird einem erst dann klar, wenn man einen Nachmittag in Italien, in dem man etwas schnell erledigen wollte, mit netten Gesprächen und lustigen Erlebnissen verbracht hat, ohne das, was man erledigen wollte, erledigt zu haben, dafür aber sehr schöne neue Dinge gelernt hat.

Alternative Effizienz

Oder man lernt, wie schnell und unkompliziert ein abgebrochener Rückspiegel am Auto ersetzt werden sein kann, wenn man ihn in einer italienischen Werkstatt quasi gratis ersetzt bekommt, weil eine Rechnung dafür auszustellen ja viel zu kompliziert und langwierig wäre. Dasselbe ist uns auch mit einem Glühbirnchen im Autoscheinwerfer passiert. Die Birne wurde sofort ersetzt – und ein Ersatzbirnchen gleich mitgegeben. Natürlich auch gratis. Korrekt ist das nicht, auch nicht, dass man dann aus Dankbarkeit ein kleines Trinkgeld zurücklässt. Aber effizient. Alternativ effizient.

Car Plant

Ein lehrreiches Erlebnis war auch das Verhalten unserer Metallwerkstatt in Italien. Wir hatten eine wunderschöne Reling für unsere Terrasse in Auftrag gegeben. Alles verstanden, alles wunderbar, Kostenvoranschlag versprochen. – Aber er kommt nicht. Nachtelefonieren: ja kommt! – Kommt wieder nicht. Zwischenschalten des Bauleiters – Warten. Schließlich nach Monaten die Wahrheit: Der fabbro, der Metallbauer, fand, dass unsere gewünschte Lösung am gewünschten Ort nicht gut aussieht. Zu modern, zu maritim. Aber er hatte erst mal keine bessere Lösung parat. Aber irgendwann, nach Monaten, hat er sie – und dafür kommt auch gleich eine Skizze samt Kostenvoranschlag. Die Lösung war perfekt – und billiger. Vielleicht nicht effizient, aber genau richtig.

Die neue Welt jenseits der Effizienz

Wir müssen uns in solch kluger Non-Effizienz noch viel üben. Aber es ist wichtig, von der Effizienz-Fixierung weg zu kommen. Denn wir haben keine Chance, künftig mit der Effizienz von Robotern und Rechnern auch nur ansatzweise mithalten zu können. Roboter, einmal richtig installiert und mit den richtigen Algorithmen gefüttert, sind fehlerfrei und effizient wie es ein Mensch nie sein kann – und das 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr – abzüglich ein bisserl Wartung.

Schluss also mit unserem Effizienz-Fetisch. Im Gegenteil. Wollen wir in Zukunft eine Chance gegen künstliche Intelligenz und smarte Roboter haben, müssen wir uns auf unsere Fehlerhaftigkeit, unsere Fähigkeit, uns ablenken zu lassen, und auf unsere emotionalen Beschränkungen und Wirrungen besinnen. Das nämlich macht unsere Kreativität, unsere Phantasie, unsere Ideen aus. Die sind nie effizient, im Gegenteil. Innovationen stören zunächst jede Effizienz, stehen blöd im Weg rum. Sie müssen sich erst durchsetzen – neue Perspektiven schaffen – und wenn nötig, dann auch neue Effizienz.

Donald Trump: der Mann ohne Lachen


Cui bono – was treibt einen Menschen an?

Die einfachste Art und Weise einen Menschen zu verstehen (zu versuchen) ist zu hinterfragen: Was treibt ihn an? Was ist der Benefit aus seinem Handeln – und mag es noch so erratisch oder destruktiv sein? Was ist seine Motivation, was seine Triebfeder – oder auch seine Lebenslüge? Cui bono, was nützt ihm was?

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Es gibt ein paar Hinweise, was unser aktuelles universelles Schreckgespenst, Donald Trump, antreiben mag. Geld ist es nicht – davon hat er, so behauptet er, genug. Den Beweis dafür, seine Steuererklärung, liefert er aber nicht. Aufmerksamkeit und Anerkennung sind deutlich sein Lebenselixier. Noch nie war ein Mensch, noch dazu solch prominent exponiert, ein so typischer, offen durchschaubarer, sozusagen „transparenter“ Narzisst. Gegen Donald Trump war Silvio Berlusconi fast schon ein diskreter, zurückhaltender Mensch.

Rachdonald-trumpe ist Blutwurst

Aber seine Triebfeder, Präsident zu werden und der Präsident zu sein, wie er ihn so provokant und penetrant gibt, ist Rache. Den besten Hinweis darauf hat Richard Branson, Chef von „Virgin“ (und erklärter Hillary Clinton-Fan), geliefert. Er erzählt in seinem Blog von seinem ersten Treffen mit Trump vor einigen Jahren. Trump lud ihn nach zuhause im Trump-Tower ein und legte gleich, noch bevor man sich zum Essen hingesetzt hat, mit der Geschichte seines gerade überstandenen Bankrotts. Richard Branson befürchtete schon, um Geld angebettelt zu werden.

 

donald-trump

Aber Trump wollte unbedingt diese Story loswerden: Er hatte diverse Menschen gebeten, ihm zu helfen, aus seiner finanziellen Bredouille herauszukommen. Fünf Menschen, auf die er gerechnet hatte, hatten ihm diese Hilfe verweigert. Den Rest seines Lebens wolle er jetzt, so Trump zu Branson, darauf verwenden, das Leben dieser fünf Menschen zu zerstören. Das sei sein Lebensziel. Branson beschreibt das Erlebnis – und den Abend mit Trump – als traurig, befremdlich und niederschmetternd.

Das desaströse Galadiner

Es ist also Rache, die Trump antreibt. Seine Feinde sind aber nicht nur diese ominösen fünf Menschen. Es gibt noch einen weiteren Feind, den er mit aller Macht und Kraft vernichten will: die Medien. Und wir alle durften dabei live zusehen, als ihm die Schmach angetan wurde, die in ihm womöglich erst die Idee entstehen ließ, ernsthaft für das Präsidentenamt zu kandidieren. Es geschah 2011 beim Galadiner der Korrespondenten am Weißen Haus 2011. Zunächst zog der Moderator des Abends, Seth Meyers, relativ bösartig über ihn her.

Es lohnt sich, die Ganzkörper-Erstarrung Trumps und seinen vor Wut hochrot anlaufenden Kopf während der Scherze über ihn zu beobachten. Die Gags über sich und die ziemlich herbe Verarschung scheinen ihm fast körperlich spürbare Schmerzen zu bereiten. Noch nie habe ich einen Menschen so uncool auf Scherze über sich reagieren sehen. Und seine Reaktion lässt die teilweise schwachen Pointen um so explosiver erscheinen. Exemplarisch kann man das im Video zwischen den Minuten 1:50 bis 2:20 und von 3:20 bis 4:00 beobachten. Keine Bewegung im Gesicht, kein befreiendes Grinsen, Lachen sowieso nicht.

Das Dilemma von Narzissten ist, dass sie über sich nicht lachen können. Noch schlimmer, sie halten es nicht aus, wenn über sie gelacht wird. Sie dürfen sich nicht einen Moment anzweifeln lassen. Sie dürfen nie in Frage gestellt werden. Das ist viel zu gefährlich. Ihr Selbstbewusstsein ist so schwach, dass sie dringend kontinuierlich Zuspruch brauchen, von außen oder in Selbstsuggestion. Lächerlichkeit ist das blanke Gegenteil zu Zuspruch. Es macht klein, es stellt in Frage. Daher ist jedes Lächerlich-Sein, jedes Lächerlich-Gemacht-Werden eine unglaublich massive Verletzung. Und je öffentlicher das geschieht, umso schlimmer. Und wenn die Kameras auch noch gnadenlos draufhalten, desaströs.

Mit einer kleinen Geste, einem schiefen Grinsen, einem lahmen Klatschen oder gar einem Herzhaften Lachen, ließe sich Gespött leicht die Spitze zu nehmen. Aber dazu braucht es eine wenigstens halbwegs stabile Persönlichkeit. Bezeichnend ist, dass Trump dazu nicht in der Lage ist. Er ist in seiner Wut gefangen, er ist in seiner Kränkung gelähmt.

Narzissten halten Gespött nicht aus

Das war allerdings erst Teil eins des Fiaskos. Dann kam der damalige Präsident Obama mit seiner launigen Rede. Und der tat sich besonders gütlich an seinem damaligen Hauptfeind Donald Trump, der ihn Tage zuvor genötigt hatte, seine Geburtsurkunde zu veröffentlichen, um zu beweisen, dass er in Hawaii, also den USA, geboren ist und nicht in Kenia und dass er nicht Muslim ist. Das alles hatte die Monate davor Donald Trump unablässig behauptet. Diese Demütigung zahlte Barack Obama nun Donald Trump heim. Und das demütigend. Man beachte wieder die Reaktion von Donald Trump. Hier im Zeitabschnitt zwischen Minute 3:10 und 4:50. Hier ist Trump wieder festgefroren, bis er sich am Ende eine Andeutung eines Grinsens abringt und kurz und scheu abwinkt.

Es ist ein offenes Geheimnis, dass Trump die Situation als extrem demütigend empfand. Nie mehr danach hat er das Galadiner der Korrespondenten im Weißen Haus besucht. Und auch für dieses Jahr hat er vorweg schon klar gemacht, dass er nicht kommt. Über ihn wird nicht gelacht. Punktum.

Motivation für die Präsidentschaft

Es wird gern erzählt, dass die Demütigung damals der endgültige Auslöser für Trump war, als Präsident zu kandidieren und dafür auch eigens Geld zu investieren. Das ist gut vorstellbar. Und die öffentliche Demütigung dürfte auch der Grund für den abgrundtiefen Hass von Donald Trump gegen die Medien und die Korrespondenten im Weißen Haus im Besonderen sein.

Es scheint, als hätte er seinen Lebensplan erweitert. Er will nicht nur das Leben der fünf Investoren, die ihn in der Not im Stich gelassen haben, vernichten. Er will auch die Medien zerstören. Vor allem die Medien, die sich über ihn lustig machen oder ihn dem Gespött von Menschen aussetzen. Das Motto ist klar: Trump First!

P.S.: Man muss sich nur die Bildergalerien von Donald Trump ansehen. Es gibt ihn in allen Arten von Grinsen. Ich habe kein Foto gefunden, in denen er mal frei und lauthals lacht. Er kann nur andere verlachen und schlechte Altmänner-Scherze machen. („grab her by the pussy…“) Er kann keine Witze und er kann nicht lachen. Lachen befreit, er ist gefangen in sich selbst. Und wir mit ihm.

Trumps Apokalypse


Die Endzeitphantasien des Stephen Bannon

Ich bin am 8. November 2016 sehr spät ins Bett gekommen. Und weil so spät schon die Ahnung in der Luft lag, dass Donald Trump der 45. Präsident der USA werden könnte, habe ich schlecht geschlafen. Als am nächsten Morgen klar war, dass The Donald die Wahl gewonnen hatte, war das niederschmetternd.

Mein Entsetzen ging in zwei Richtungen:

  1. Wie konnte es passieren, dass diese Nation, die uns erst beigebracht hat, wie Demokratie geht und die uns vorgelebt hat, welche grandiosen Vorteile das hat, dass diese Nation diesen bizarren Narzissten, der mit Demokratie nichts am Hut hat und mit ihr nichts anfangen kann, zum Präsidenten wählt? Einen Menschen, der sich in jeder Beziehung, menschlich, geschäftlich, persönlich als Präsident öffentlich effektiv disqualifiziert hat?
  2. Wie kaputt muss eine Nation sein, wie wütend und/oder verzweifelt, dass sie solch einen Menschen zum Präsidenten wählt, mal abgesehen von der Gegenkandidatin. Ich habe mich immer über die sichtbaren Widersprüche bei meinen Besuchen in den USA gewundert. Habe die Ineffiktivität der Arbeit dort und den Niedergang der Infrastruktur registriert. Und habe nicht die nötigen Schlüsse daraus gezogen.

Die Säulen der Zivilisation

In dieser Stimmung habe ich wenige Tage später, am 15. November, einen Mitschnitt einer Rede und einer Fragerunde mit Stephen Bannon, damals Wahlkampfmanager von Donald Trump, heute sein engster Berater, gelesen bzw. gehört. Diese Rede und die nachfolgende Fragerunde hielt er im Sommer 2014 im Vatikan auf Einladung eines DHI, des Dignitatis Humanae Institute (Rom & Brüssel), einer rechtsreligiösen Institution.

Der Artikel und der Mitschnitt erschienen damals im amerikanischen Buzzfeed samt Tonspur. Der Text ist mittlerweile aber auch in kompletter Länge auf der Website der Dignitatis Humanae abgedruckt, die es sich zur Aufgabe gestellt hat, die „Säulen der westlichen Zivilisation hochzuhalten: das Christentum.“

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Diese Rede hat mich zutiefst erschreckt und mich das Schlimmste für die damals noch bevorstehende Amtszeit von Donald Trump befürchten lassen. Nach den ersten Tagen seiner Regierungszeit hat er meine Befürchtungen eher übertroffen. Vor allem weil Stephen Bannon eine dominierende Rolle unter seinen Beratern innehat und er ihn sogar noch zum Chef des Nationalen Sicherheitsrates (!) gemacht hat.

Die Spielarten des Kapitalismus

Der Schrecken der Rede war zweischneidig. Zum einen war seine Analyse des Zustands der Welt, der Ökonomie und der Machtverhältnisse sehr genau und in weiten Teilen durchaus teilbar. Teilweise klang er wie ein Mitglied einer juvenilen Linken. Er beklagte die Entwicklung des Kapitalismus hin zu einem Bereicherungsinstrument von Politikern (Putin & Konsorten), den Kleptokraten und von hypergierigen Eliten, die den Neoliberalismus dafür nutzen, die Mittelklasse auszubluten, um sich selbst noch gnadenloser mit absurden Geldmengen zu bereichern.

Bannon stellt dem einen aufgeklärten, christlichen Werten verpflichteten Kapitalismus entgegen. (Passend im Vatikan.) Er beschreibt die Pax Americana der Nachkriegszeit als das beste Beispiel für solch einen verantwortungsbewussten Kapitalismus, eine Zeit, in der der Mittelstand prosperierte und das Geld gerecht zwischen Oben und Unten verteilt wurde.

Stephen Bannon hat recht, wenn er die Art und Weise anprangert, wie die Finanzkrise auf Kosten der Mittelschicht gelöst wurde und die Reichen noch reicher machte. Entsprechend sieht er – und das ist lange vor Trumps Aufstieg – den Aufstand dieser Mittelschicht voraus.

Der Werteverlust der Säkularisation

Stephen Bannon ist auch – mit Vorbehalten – zuzustimmen, wenn er die Entwicklung der Säkularisierung unserer Welt kritisiert – wie es ja auch der so linke Papst Franziskus tut. So gut es war, uns aus dem Wertekorsett der christlichen Religionen zu befreien, ist es doch in weiten Teilen nicht gelungen, die Wertefabrikation in unserer aufgeklärten Gesellschaft jenseits christlicher Moralvorstellungen oder politischer Ideologien funktionabel  zu organisieren: Menschenrechte, Diversität, Toleranz, Solidarität etc.

An dieser Stelle schmerzt es, wenn man sieht, wie treffend seine Kritik ist, wie wenig davon in unserer Gesellschaft ernsthaft diskutiert wird. Stattdessen werden atemlos immer neue Hysterien hyperventiliert. Schmerzhaft auch, wie beflissen die Medien diese Ablenkung vom Wesentlichen bedient haben – und wie unbeachtet der Aufstand der Mittelschicht in den USA blieb, die Donald Trump ins höchste Amt der Vereinigten Staaten gepu(t)scht hat.

Die blutige Revolution

Diese argumentative Basis macht es Bannon – und als sein Sprachrohr Donald Trump – so leicht, sich als Sprachrohr des enteigneten Mittelschicht, der von Verlust- und Armutsängsten geplagten „ehrlichen, harten Arbeiter“ zu gerieren. Auf dieser Basis scheinbaren „gesunden Menschenverstandes“ und unter dem Banner eines aufgeklärten, gerechten und sozialen Kapitalismus, baut dann Bannon ein beängstigendes Zukunftsszenarium auf.

Stephen Bannon glaubt nämlich nicht daran, dass sich die Welt zum Besseren wenden ließe. Er glaubt nicht an die Evolution. Und schon gar nicht glaubt er an die Wandlungsfähigkeit des bestehenden Systems. Er sieht nur eine Chance zur Wandlung zum Besseren: die komplette Zerstörung, eine tiefgreifende Krise, ja am besten ein Krieg, ein Weltkrieg, mindestens zwischen Amerika und China.

Krisen alle 80 Jahre

Bannon ist dabei Anhänger der Geschichtstheorie der beiden Amateurhistoriker Neil Howe und William Straus, die seit den 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts die These verbreiten, dass weltgeschichtlich alle 80 Jahre tiefgreifende, meist kriegerische Krisen alte Systeme zum Einsturz bringen und neue Systeme kreieren, so nach dem Phönix-aus-der-Asche-Prinzip. In einem interessanten Artikel in der amerikanischen Zeitschrift Time beschreibt Neil Howe, wie Stephen Bannon ihn in einem Interview immer wieder dazu drängte, zu bestätigen, dass es jetzt wieder soweit ist, dass jetzt die große, vierte neue Weltordnung (fourth turning) vor der Tür stehe, samt Krieg und Zerstörung etc.

So ein Mann steht jetzt an den Schaltern der Macht und hat sichtlich das Vertrauen von Präsident Trump. Er ist sein Chefstratege, sein Chefideologe – und er macht keinen Hehl daraus, dass die Zerstörung des bestehenden Systems sein vorrangiges Ziel ist. System heißt hier nicht nur Kapitalismus, sondern Globalisierung, Moderne, Vielfalt, Toleranz, Demokratie, Gewaltenteilung etc. Alles!

Was für ein Horrorszenario. Es ist kein Zufall, dass Bannon seine Thesen ausgerechnet im Vatikan vor religiösen Rechten verkündet hat. Die hatten es ja noch nie so sehr mit Demokratie, Menschenrechten und dem ganzen „Gedöns“. Die wollten noch nie ein Paradies auf Erden, das gibt schließlich es erst nach dem Tod und der Auferstehung.

Fragt sich, wie sich Stephen Bannon die Welt vorstellt, wenn sie nach Zerstörung und Untergang wieder neu entstehen sollte… – erleben mag man es selbst eigentlich nicht so recht..

Die Zukunft der Zukunftsforscher


Holt die Gegenwart die Zukunft ein?

„The future is moving closer to the present, as if they were actually apart, that is.“, schreibt Robert Fripp (King Crimson) am 2.Januar 2017 in seinem Tagebuch. Zukunft und Gegenwart kommen immer dichter zusammen, wenn sie denn je getrennt waren. Der Satz erinnert mich an die ewige Wahrheit aller Zukunftsforscher, die William Gibson formuliert hat: „Die Zukunft ist längst schon da. Nur nicht gleichmäßig verbreitet.“ („The future is already here – it’s only not evenly distributed.“)

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Wenn der Kühlschrank leise chattet…

Nie war der Job für Zukunftsforscher schwieriger als heute. Die technische Entwicklung in vielen Bereichen geht rasend schnell voran. Da kann man mit Voraussagen schnell danebenliegen. (Mathias Horx leidet gerade wieder an entsprechender Häme.) Die soziale und kulturelle Verarbeitung all dieser technischen Neuerungen hinkt deutlich hinterher. Entsprechend schlecht kann man neue Wirklichkeiten prophezeien. Sicher ist hier nur, dass sich nichts so entwickeln wird, wie Techniker und ihre Promotoren (auch in den Medien) es voraussagen. Bestes Beispiel für solche Flops: das Fabelwesen des intelligenten, kommunizierenden Kühlschranks.

Der unerwünschte Bastard

Hier darf man William Gibson neu interpretieren: Die soziale und kulturelle Adaption findet längst statt, nur nicht überall gleich. Die jungen und jüngsten Generationen tun das längst. Aber die Generationen, die über die administrativen Anpassungen und kulturellen Lernprozesse entscheiden, hinken noch schwer hinterher: Wir erinnern uns an Merkels „Neuland“, an die Philippika des Chefs der Lehrergewerkschaft gegen digitale Geräte in der Schule – und natürlich mit besonderem Grausen an den digitalen Kommissar Günther Oettinger.

Irgendwo in dieser Kluft zwischen stiller, unreflektierter Adaption durch die Jungen und Unkenntnis, Desinteresse und Ignoranz der Älteren und Mächtigen findet derzeit unsere Zukunft statt. Ein elternloser Bastard, für den niemand Verantwortung übernehmen kann bzw. will. Ein unerwünschtes Kind für die Eliten, die ihre Privilegien durch die Digitalisierung gefährdet sehen. Siehe die Finanzkrisen und die offensichtliche Abscheu, die etwa ein Donald Trump für Computer und all das Internet-Gedöns formuliert.

Technik ist Pop

Die junge Generation staunt, welche Spielzeuge ihnen die Technik und die digitalen Dienste in die Hand geben. Sie versuchen ganz skrupellos (… und das ist gut so), irgendwie daran Spaß zu finden und finden ihn fast immer dort, wo es die Techniker und Vermarkter nicht erwartet haben. Und wenn es auch nur der Spaß ist, dass die Erwachsenenwelt nicht mit neuer Technik und ihrer Nutzungskultur klar kommen. Das war schon immer der Hauptmotivator für junge Menschen: von älteren Generationen verwaiste Regionen zu (er-)finden. So gesehen sind Technik und Digitalität Pop. Und Zukunft ist es irgendwie auch.

Die Zyklen dieser Eroberung neuer virtueller Freiräume, deren lärmende Kartierung durch die Medien und der Versuch, der mal naiv positiven, meist aber warnend abwartend oder ignorant unterbindenden (Oettinger!) Reaktion der Mächtigen (Kapital und/oder Politik) werden immer kürzer. Fast mag es wie eine Echtzeitreaktion in Zeitlupe aussehen. Daher stimmt der Eindruck, dass Zukunft und Gegenwart immer enger zusammenrücken.

Das Dilemma der Zukunftsforschung

Zukunftsforschung ist bislang meist der Versuch, von absehbaren Innovationen und verlässlichen statistischen Entwicklungen für mögliche Adaptionen in technischer, gesellschaftlicher und kultureller Hinsicht Prognosen zu wagen. Mit den heute nur noch minimalen Aneignungszeiten ist die Art von Zukunftsforschung heute obsolet.

Wegweiser Zukunft
Geht’s zur Zukunft nach rechts?

Erschwerend kommt die Generationenkluft zwischen Zukunftsschaffenden (den Jungen) und (älteren) Zukunftsanalytikern hinzu. Das Adaptionsgeschehen der Digital Natives erscheint aus der vermeintlichen Höhe analytischen Wissens und vordigitaler Kultur naturgegeben eher wirr. Ist es auch. Aber wie sonst soll eine Adaption im non-linearen Raum funktionieren? Die Generation der Analytiker hat nie das Try-and-Error-Prinzip gelebt. Schon gar nicht in Deutschland.

Der kaputte Mythos

Im übrigen hat die Zukunftsforschung ihren Ur-Mythos eingebüßt. Sie versprach fast immer, mit wenigen Ausnahmen (in Deutschland) eine Zukunft, in der wir es besser haben werden. Sie versprach mehr Bequemlichkeit (angenehm), mehr Freiheit (anstrengend aber positiv besetzt) und mehr Glück (bzw. Glücksersatz).

Nur Ersteres ist wahr geworden. Die Bequemlichkeit hat uns alle Bedenken um unsere Privatsphäre vergessen lassen. Das mit der Freiheit hat sich als Schimäre entpuppt, schon weil die meisten Menschen mit diesem Gut (und der damit verbundenen Verantwortung) nicht umgehen können. Und Glück, ob materiell oder spirituell, bringt nie die Zukunft, die kann nur die Gegenwart liefern.

Die Zukunft, die haben die anderen

Eine rosa Zukunft, in der wir es alle besser haben werden, das wagt kein ernst zu nehmender Zukunftsforscher mehr zu prognostizieren. Zwar zeigen alle Statistiken, und davon viele ernst zu nehmende, dass es uns heute so gut geht wie noch nie. Dass weniger Menschen hungern, weniger Kinder sterben, immer weniger Armut herrscht und es weniger Kriege seit Menschengedenken gibt.

Aber diese Zahlen beweisen nur, dass es unheimlich vielen Menschen in Asien, Südamerika und Afrika besser geht. Die breite Masse der Menschen in Europa oder Amerika stagniert in ihrem Wohlstand dagegen seit langem. Zugleich wird die Schere zwischen Arm und Reich immer größer. So erlebt man subjektiv eine gefühlte Verarmung im Vergleich zu den Hyperreichen. Und die Aussichten sind mager. Der Wachstums-Traum ist ausgeträumt. Schon mangels Ressourcen und aufgrund der unabsehbar wachsenden Zahl an Menschen auf dieser Erde.

Der amerikanische Traum

Auffallend war rund um den Jahreswechsel, wie viel Zukunftsprognosen in den internationalen, vor allem amerikanischen Medien zu lesen waren. Donald Trumps Retro-Politik zum Trotz. Viele Artikel begeisterten sich einmal mehr für neue Technologien, neue Gadgets und neue Bequemlichmacher (Amazon: Alexa!).

Aber es gab auch viele erstaunlich tiefschürfende Zukunftsperspektiven zu lesen. Etwa wie die absehbaren Verbesserungen in Medizin und Gesundheitstechnolgie unser Leben und die dabei vital gelebte Zeit massiv verlängern werden. Aber wie soll das funktionieren mit sozialen Systemen, die darauf nicht eingestellt sind. Und wie soll das mit einer Denke funktionieren, die nicht auf Geschenke an Lebensqualität und Vitalität vorbereitet ist? – Apropos Denke: Hochnuanciert auch viele Artikel zur Künstlichen Intelligenz (KI), zur Gehirnforschung und der möglichen Kollision zwischen menschlicher und Maschinen-Intelligenz.

Klar wird in solchen Artikel, dass es so wichtig wie noch nie ist, sich mit der Zukunft auseinanderzusetzen. Kritisch und konstruktiv, skeptisch und begeisterungsfähig, visionär und rational, neugierig und gelassen. Vor allem weil die Zukunft noch nie so nah war wie heute. Da hat Robert Fripp recht. Allzu oft ist die Zukunft, auf die wir warten, längst schon Gegenwart. Vielleicht manchmal noch nicht hier bei uns. Aber da sollten wir dafür sorgen, dass das schleunigst passiert.

Das Goldfisch-Syndrom


Eine kleine Erklärung der Welt von heute

Wie hält es ein Goldfisch in einem Wasserglas aus? Immer nur im Kreis schwimmen – und von allen beglotzt werden. – Ganz einfach, sein Gedächtnis reicht gerade mal für neun Sekunden. Einmal rund ums Glas braucht aber 10 Sekunden. Also ist jede neue Runde ein neues Abenteuer. Und ewig grüßt das Goldfisch…

Golden fish (Carassius Auratus)  in a bowl

Unser Gedächtnis ist ein wenig besser, als das vom Goldfisch. Aber unsere Fähigkeit, bei einem Thema zu bleiben, sich auf einen Inhalt einzulassen und uns zu konzentrieren ist schlimmer als die vom Goldfisch. Gerade mal 8 Sekunden beträgt unsere Ausmerksamkeitsspanne. In den letzten 15 Jahren hat sie sich halbiert. 2000 waren es noch 12 Sekunden. Das hat eine Konsumentenstudie von Microsoft gerade festgestellt.

Der nahe liegende Kritik-Reflex wäre natürlich, gleich mal wieder den Untergang des Abendlandes zu beklagen samt ausgiebigem Bashing von allem digitalen Teufelswerk unter besonderer Berücksichtigung des Smartphones. Denn wie soll unsere Welt weiter bestehen, wenn wir ihr keine Aufmerksamkeit schenken, oder zumindest nur noch in homöopathischen Dosen. Und was, wenn nur noch das Phone smart ist, aber nicht mehr seine Nutzer?

Kommt eine post-rationalen Zeit?

Aber wir könnten auch einmal das Bild von dem Goldfisch im Glas weiter bemühen. Vielleicht ist die Reduzierung der Aufmerksamkeitsspanne auch eine logische Überlebensstrategie für unseren aktuellen Zeitgeist. Hier mal ein paar gewagte Thesen und Fragestellungen zu einer möglichen postrationalen Epoche:

  • Unser Gehirn, vor allem das der digital Natives, verarbeitet längst in viel kürzerer Zeit auch hoch komplexe Informationen. Daher der Trend zum Bewegtbild. Nur hier lassen sich Informationen optimal verdichten. Sprache – und die ganz besonders in schriftlicher Form von Text – ist viel zu langsam zu verarbeiten. Unser Gehirn ist schon längst einen Schritt weiter.
  • In einer Welt, in dem es keine Wahrheiten mehr gibt, weil Wahrheit und Lüge, Bild und Photoshop-Fake so nah beieinander liegen, wird schlicht Zeit vergeudet, wenn noch langwierig Inhalte rezipiert werden. Vor allem, wenn Fake-News und Foto-Pranks viel attraktiver sind und besser ins eigene Vorurteilsschema passen. Unser Gehirn ist schon mal ins postfaktische Zeitalter voran gereist.
  • Sind wir nicht Gefangene der Aufklärung und ihrer Früchte? Sind nicht Ratio und Logik, Kritik und Wissenschaft, Fortschrittsglaube und Wachstumsfetischismus zuletzt irgendwie in Misskredit geraten, weil diese positiven Werte unsere Gesellschaft in Arm und Reich teilen, weil nur eine kleine Schicht oben die Früchte erntet, ohne Rücksicht auf andere?
  • Sind nicht die Werte der Aufklärung wie Emanzipation und Toleranz strittig geworden? Wie sonst kann man im Kampf gegen solche Werte Wahlen gewinnen? Und wird nicht Freiheit immer mehr als Stress erlebt, als Überangebot an Möglichkeiten und die damit verbundene Verantwortung als belastend?
  • Aber im Ernst. Sind nicht durch den Materialismus und blinden Fortschrittsfetisch die Werte der Aufklärung auch pervertiert worden? Haben wir vor lauter Vernunft und Logik nicht den Zugang zu unserer mentalen Kraft und darüber oft unsere psychischen Gesundheit verloren? Warum sonst nehmen sonst Depressionen so zu? Und warum erleben Tools, die unser Verhalten kontrollieren, solch einen Boom. Früher hat man wohl besser gewusst, was einem gut tut und richtig ist, und das ist jetzt weg?

Gefühlte Wahrheiten fühlen sich gut an

Vielleicht baut sich unser Gehirn gerade um, weg von Vernunft und Logik, weg von Linearität und Literalität. Weg von den Buchstaben der Aufklärung hin zu hochkomplexen multimedialen Informationsschemata, hin zu nur jenseits reiner Logik verstehbaren Realitätsclustern. Daher auch die Zunahme von „gefühlten“ Wahrheiten.

Und wahrscheinlich stehen wir, wenn wir den Gedanken einmal wagen wollen, erst am Anfang solch einer Entwicklung, die vor allem all denen, die noch im Bildungsideal der Aufklärung der vordigitalen Zeit groß geworden sind, schlichtweg graust. Das würde die absurden Auswüchse des aktuellen Siegeszugs der Lüge, der Desinformation und des Ressentiments erklären helfen.

Krisen kündigen neue Zeiten an

Schlimm und schwer vermittelbar ist, dass ausgerechnet Menschen aus dem Vorgestern diese Auswüchse, wie sie an jedem Anfang einer neuen Epoche stehen, so clever und skrupellos auszunützen verstehen. Für Krisenzeiten ist typisch – und 2016 hat jeder als sich selbst beschleunigende Krise erlebt – dass sie eine Veränderung einleite. Und je krisenhafter, desto gravierendere Veränderungen passieren. Neue Zeiten, neue Epochen und evolutionäre Sprünge kündigen sich immer auf solche Weise an.

Bleibt nur zu hoffen, dass die Evolution weiß, was sie da macht. Und dass wir diesem Evolutionssprung gewachsen sind. Dass der Umbau unserer Denkapparate schnell genug geht und dann auch noch in die richtige Richtung… – jenseits eines Goldfisch-Daseins. Obwohl: Sind Goldfische unglücklich?

Fit für die Zukunft


Fake-News haben Konjunktur

Es macht wütend, wenn ein Donald Trump mit seinen Lügen Erfolg hat. Oder in unserem Nachbarland der gruselig-nette Herr Hofer. Aber es ist einfältig, über Menschen herzuziehen, die auf Fake-News und Lügen hereinfallen. Wer sich über die mangelnde Medienkompetenz vermeintlich simpel gestrickter Menschen erhebt, der hängt einer idealisierten Chimäre eines Medien-Businesses nach, die es längt nicht mehr gibt. Wenn es sie denn je gegeben hat.

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Image: Daniel Brown (danielbrowns.com)

Das Medien-Business funktioniert in einer kapitalistischen Welt ganz logisch nach dem Prinzip von Angebot und Nachfrage. Und die Nachfrage nach gut argumentierenden, womöglich intelligenten und kühl analysierenden Artikeln mit vielen interessanten Informationen über unsere komplizierte und komplexe Welt und deren hochkomplexere Zukunft ist nun mal gering. Ebenso gering wie das Bedürfnis, solch komplexe Sätze wie den letzten lesen zu wollen.

Angebot und Nachfrage

Da erleben jede Fake-News, jede dreiste Verdrehung der Wahrheiten und jede süße Lüge weit mehr Zuspruch. Vor allem, wenn damit die komplexe Welt auf knuddelige Spielzeuggröße geschrumpft wird, wenn Unübersichtlichkeit zu knalligen Abziehbildern mutiert und dabei mehr oder weniger latent verborgene Vorurteile bestärkt werden. Dann traut man sich sogar gerne, sein geheimes Chauvinistenherz mal gepflegt auszuleben. Man ist ja in seiner Beschränktheit nicht mehr allein – und das tut gut so…

Sprachverliebtheiten jetzt mal beiseite: Es tut gut, die Welt wieder einmal ganz einfach erklärt zu bekommen. Es tut gut, die Komplexität der Welt lügenden Medien oder gar bösartigen Eliten in die Schuhe zu schieben. Alles Lüge, was kompliziert scheint. Alles Wahrheit was ins eigene, beschränkte Weltbild passt. Daher haben Fake-News und blanke Lügen Konjunktur. Es gibt sie, weil die Nachfrage danach so groß ist. Und weil die Produzenten damit Geld verdienen und wunderbar das Süppchen ihrer Eigeninteressen kochen können.

Mediale Überhitzung

Warum ist das so? Schon richtig, die Medien sind daran schuld. Mit schuld. Der Run auf immer sonderlichere Neuigkeiten, auf immer schlimmere Katastrophen, immer neue Verbrechen und Gefährdungen ist immens. Das bringt Klicks. (Auflage aber längst nicht mehr.) Und je lauter und schriller der Schlagzeilen-Köder, desto mehr fallen darauf rein. Natürlich fühlen sie sich im Nachhinein deswegen verarscht. Und die Reputation der Medien leidet einmal mehr. Nachschub dafür gibt es immer, das Internet ist der größt denkbare Newsdistributor und Newsbeschleuniger.

Schuld sind auch Technologie und Wissenschaft. Sie sind hochspezialisiert und erzeugen immer neue Ideen, Konzepte und Produkte. Kein Tag ohne neue Erkenntnisse, ohne neue Studien, ohne neue bahnbrechende Erfindungen. Und diese werden heute nicht mehr nur im hermetischen Zirkel der Wissenschaft diskutiert, sondern sie werden weltweit publiziert. Es gibt viele bahnbrechende, disruptive Erkenntnisse. Aber die große Masse ist gar nicht so krass, sie wirkt im Fachchinesisch der Wissenschaft nur so, verstärkt vom Sensationsbedürfnis der Wissenschaftspublizisten.

Gehirne sind nicht für Veränderungen gemacht

Schuld ist natürlich auch die Politik. Die eine – rechte – Seite schürt ohne Unterlass Ängste. Je simpler und diffuser, umso erfolgreicher. Die gängige Politik sagt, dass sie die Ängste ernst nimmt. In Wahrheit ist aber die ganz große Koalition von den C-Parteien, SPD, Grünen (und – falls gewünscht: FDP plus Linke) hilflos in dieser Situation. Diffuse Ängste lassen sich einfach nicht wirksam entkräften. Schon gar nicht durch politischen Aktionismus oder panisches Appeasement nach rechts. Die einzige wirksame Methode hat keiner drauf: Mut machen, glaubhafte Perspektiven schaffen und faszinierende Visionen zeichnen.

Schuld hat aber vor allem die menschliche Physis. Hier speziell die mentale Abteilung. Wie sagt ein Wissenschaftler so treffend: Das menschliche Gehirn ist nicht für Änderungen gemacht. Es reagiert bestens, wenn es Routinen steuert, die sich bewährt haben. Jede Veränderung wird mindestens als lästig, meist jedoch als bedrohlich bewertet. Mit dieser Haltung fuhr das menschliche Gehirn seit Steinzeiten bestens, denn Veränderungen geschahen stets sehr langsam. Oft dauerte es mehr als ein Menschenleben, bis sich etwas bemerkbar veränderte.

Neu verdrahtete Neuronen

Das ist heute so sehr anders. Unsere Elterngeneration musste schon den Wechsel von mindestens zwei oder gar drei Lebensphasen erleben. Hier durch Humankatastrophen wie Weltkriege verursacht. Wir aber erleben gravierende Veränderungen heute schon im Halb-Generationen-Zyklus, also alle zehn bis 15 Jahre. Und das bei kontinuierlicher weiterer Akzeleration.

Für solch schnelle, kontinuierliche Wechsel von Lebensumständen, von Werten und Mechanismen brauchen wir ein völlig neues Gehirn, eine neue, optimierte Verdrahtung der Neuronen. Wir brauchen eine ganz andere mentale Fitness, die Veränderungen nicht nur besser verarbeitet, sondern sie sogar braucht. Wir brauchen eine neue psychische Prädisposition, die Veränderung positiv wertet und nicht mit Unbehagen oder gar Angst, sondern mit Mut und Lust reagiert.

Mentales Fitnessprogramm

Das klingt vielleicht etwas utopisch. Menschliche Gehirne lassen sich nicht schnell mal umprogrammieren oder gar weiterentwickeln. Aber so fremd uns so manches Verhalten der jungen, digitalen Generation(en) scheinen mag, vielleicht entwickelt sich hier ein neues Denken, das sich in seiner Undezidiertheit fit für permanenten Wandel macht. Vielleicht ist die dopamingestützte Smartphone-Abhängigkeit nur eine Übergangs- oder Übungsphase für künftiges, neues versatiles Denken.

Wir digitalen Adepten der älteren Generation sollten daher mit abfälligen Bemerkungen über die kommenden Generationen sehr, sehr vorsichtig sein. Vor allem aber sollten wir uns sehr, sehr, sehr aktiv darum kümmern, unser träges, veränderungsscheues Gehirn so fleißig wie möglich zu trainieren und  unsere mentale Disposition zu optimieren. Übungen und Programme dafür gibt es genug, sogar Apps (z. B. Headspace – englisch!).

Wir müssen uns in dieser sich immer rascher verändernden Welt vor allem dringend um unsere mentale Gesundheit und Fitness kümmern. Mindestens ebenso intensiv und ausdauernd wie wir uns um unsere körperliche Fitness kümmern, eher mehr. Schließlich wollen wir mental ebenso gesund, kräftig und beweglich bleiben wie mit unseren Muskeln und Gelenken. Denn mental stehen uns noch etliche Marathons, Triathlons und andere Dauerbelastungen bevor. Das ist sicher. – Und das ist gut so…