Donald Trump: der Mann ohne Lachen


Cui bono – was treibt einen Menschen an?

Die einfachste Art und Weise einen Menschen zu verstehen (zu versuchen) ist zu hinterfragen: Was treibt ihn an? Was ist der Benefit aus seinem Handeln – und mag es noch so erratisch oder destruktiv sein? Was ist seine Motivation, was seine Triebfeder – oder auch seine Lebenslüge? Cui bono, was nützt ihm was?

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Es gibt ein paar Hinweise, was unser aktuelles universelles Schreckgespenst, Donald Trump, antreiben mag. Geld ist es nicht – davon hat er, so behauptet er, genug. Den Beweis dafür, seine Steuererklärung, liefert er aber nicht. Aufmerksamkeit und Anerkennung sind deutlich sein Lebenselixier. Noch nie war ein Mensch, noch dazu solch prominent exponiert, ein so typischer, offen durchschaubarer, sozusagen „transparenter“ Narzisst. Gegen Donald Trump war Silvio Berlusconi fast schon ein diskreter, zurückhaltender Mensch.

Rachdonald-trumpe ist Blutwurst

Aber seine Triebfeder, Präsident zu werden und der Präsident zu sein, wie er ihn so provokant und penetrant gibt, ist Rache. Den besten Hinweis darauf hat Richard Branson, Chef von „Virgin“ (und erklärter Hillary Clinton-Fan), geliefert. Er erzählt in seinem Blog von seinem ersten Treffen mit Trump vor einigen Jahren. Trump lud ihn nach zuhause im Trump-Tower ein und legte gleich, noch bevor man sich zum Essen hingesetzt hat, mit der Geschichte seines gerade überstandenen Bankrotts. Richard Branson befürchtete schon, um Geld angebettelt zu werden.

 

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Aber Trump wollte unbedingt diese Story loswerden: Er hatte diverse Menschen gebeten, ihm zu helfen, aus seiner finanziellen Bredouille herauszukommen. Fünf Menschen, auf die er gerechnet hatte, hatten ihm diese Hilfe verweigert. Den Rest seines Lebens wolle er jetzt, so Trump zu Branson, darauf verwenden, das Leben dieser fünf Menschen zu zerstören. Das sei sein Lebensziel. Branson beschreibt das Erlebnis – und den Abend mit Trump – als traurig, befremdlich und niederschmetternd.

Das desaströse Galadiner

Es ist also Rache, die Trump antreibt. Seine Feinde sind aber nicht nur diese ominösen fünf Menschen. Es gibt noch einen weiteren Feind, den er mit aller Macht und Kraft vernichten will: die Medien. Und wir alle durften dabei live zusehen, als ihm die Schmach angetan wurde, die in ihm womöglich erst die Idee entstehen ließ, ernsthaft für das Präsidentenamt zu kandidieren. Es geschah 2011 beim Galadiner der Korrespondenten am Weißen Haus 2011. Zunächst zog der Moderator des Abends, Seth Meyers, relativ bösartig über ihn her.

Es lohnt sich, die Ganzkörper-Erstarrung Trumps und seinen vor Wut hochrot anlaufenden Kopf während der Scherze über ihn zu beobachten. Die Gags über sich und die ziemlich herbe Verarschung scheinen ihm fast körperlich spürbare Schmerzen zu bereiten. Noch nie habe ich einen Menschen so uncool auf Scherze über sich reagieren sehen. Und seine Reaktion lässt die teilweise schwachen Pointen um so explosiver erscheinen. Exemplarisch kann man das im Video zwischen den Minuten 1:50 bis 2:20 und von 3:20 bis 4:00 beobachten. Keine Bewegung im Gesicht, kein befreiendes Grinsen, Lachen sowieso nicht.

Das Dilemma von Narzissten ist, dass sie über sich nicht lachen können. Noch schlimmer, sie halten es nicht aus, wenn über sie gelacht wird. Sie dürfen sich nicht einen Moment anzweifeln lassen. Sie dürfen nie in Frage gestellt werden. Das ist viel zu gefährlich. Ihr Selbstbewusstsein ist so schwach, dass sie dringend kontinuierlich Zuspruch brauchen, von außen oder in Selbstsuggestion. Lächerlichkeit ist das blanke Gegenteil zu Zuspruch. Es macht klein, es stellt in Frage. Daher ist jedes Lächerlich-Sein, jedes Lächerlich-Gemacht-Werden eine unglaublich massive Verletzung. Und je öffentlicher das geschieht, umso schlimmer. Und wenn die Kameras auch noch gnadenlos draufhalten, desaströs.

Mit einer kleinen Geste, einem schiefen Grinsen, einem lahmen Klatschen oder gar einem Herzhaften Lachen, ließe sich Gespött leicht die Spitze zu nehmen. Aber dazu braucht es eine wenigstens halbwegs stabile Persönlichkeit. Bezeichnend ist, dass Trump dazu nicht in der Lage ist. Er ist in seiner Wut gefangen, er ist in seiner Kränkung gelähmt.

Narzissten halten Gespött nicht aus

Das war allerdings erst Teil eins des Fiaskos. Dann kam der damalige Präsident Obama mit seiner launigen Rede. Und der tat sich besonders gütlich an seinem damaligen Hauptfeind Donald Trump, der ihn Tage zuvor genötigt hatte, seine Geburtsurkunde zu veröffentlichen, um zu beweisen, dass er in Hawaii, also den USA, geboren ist und nicht in Kenia und dass er nicht Muslim ist. Das alles hatte die Monate davor Donald Trump unablässig behauptet. Diese Demütigung zahlte Barack Obama nun Donald Trump heim. Und das demütigend. Man beachte wieder die Reaktion von Donald Trump. Hier im Zeitabschnitt zwischen Minute 3:10 und 4:50. Hier ist Trump wieder festgefroren, bis er sich am Ende eine Andeutung eines Grinsens abringt und kurz und scheu abwinkt.

Es ist ein offenes Geheimnis, dass Trump die Situation als extrem demütigend empfand. Nie mehr danach hat er das Galadiner der Korrespondenten im Weißen Haus besucht. Und auch für dieses Jahr hat er vorweg schon klar gemacht, dass er nicht kommt. Über ihn wird nicht gelacht. Punktum.

Motivation für die Präsidentschaft

Es wird gern erzählt, dass die Demütigung damals der endgültige Auslöser für Trump war, als Präsident zu kandidieren und dafür auch eigens Geld zu investieren. Das ist gut vorstellbar. Und die öffentliche Demütigung dürfte auch der Grund für den abgrundtiefen Hass von Donald Trump gegen die Medien und die Korrespondenten im Weißen Haus im Besonderen sein.

Es scheint, als hätte er seinen Lebensplan erweitert. Er will nicht nur das Leben der fünf Investoren, die ihn in der Not im Stich gelassen haben, vernichten. Er will auch die Medien zerstören. Vor allem die Medien, die sich über ihn lustig machen oder ihn dem Gespött von Menschen aussetzen. Das Motto ist klar: Trump First!

P.S.: Man muss sich nur die Bildergalerien von Donald Trump ansehen. Es gibt ihn in allen Arten von Grinsen. Ich habe kein Foto gefunden, in denen er mal frei und lauthals lacht. Er kann nur andere verlachen und schlechte Altmänner-Scherze machen. („grab her by the pussy…“) Er kann keine Witze und er kann nicht lachen. Lachen befreit, er ist gefangen in sich selbst. Und wir mit ihm.

Narzissmus de-loaded


What my friends think I do

Wem ist in den letzten Wochen nicht auch eines der Schaubilder per Mail oder Facebook-Post auf den Bildschirm gepoppt, in dem – auf schwarzem Untergrund – mit lustigen Bildchen die disperse Perzeption verschiedener Jobs illustriert wird: Was denken meine Freunde, was ich in meinem Job tue? Was meint Mami? Was die Gesellschaft? Was mein Boss? Wie sehe ich mich selbst? Und als entlarvender Schlussgag dann: Das tue ich wirklich im Moment. (Eine wilde Mischung an Beispielen findet man etwa auf der Site „What My Friends Think I Do“ oder einfach als Bildersuchbegriff „What People think I do“ bei Google eingeben.)

Ein bezeichnendes Meme, das sich da im Netz ausbreitet. Wir scherzen mit den Images, Erwartungen und Projektionen, die unser Umfeld über unseren Berufsstand kultiviert. Das Fremdbild, das unser Berufsumfeld geschaffen hat, wird gütig karikiert. Aber am spannendsten ist die Selbsteinschätzung, mit der in den letzten beiden Bildern gescherzt wird. Was ich zu tun meine (What I think I do) versus: Was ich wirklich tue. (What I really do.) Wir nehmen uns in unserer überzogenen Selbsteinschätzung auf den Arm.

Der ganz normale Narzissmus

Eine übertriebene Selbsteinschätzung, weil der Kontakt zum eigenen Ich verloren gegangen ist, das ist das prägende Symptom des Narzissmus.  In einer Welt, in der das Ich so viele verschiedene Rollen zu spielen hat, ist das eine relativ logische Entwicklung, dass das Ich den Kontakt zur Realität verliert. Noch dazu, wenn man als Kind Eltern erlebt hat, die selbst schon auf narzisstoide Weise das eigene Ich überbewertet haben. Noch dazu, wenn Vorbilder einer Selbstüberhöhung durch die Massenmedien reihenweise geliefert werden, etwa durch überzogene Projektionsoptionen: Models, Filmheroen, Medienstars etc. Und wenn sowohl Ich-Findung als auch die Selbst-Vervollkomnung in Filmen oder Games als kinderleicht, weil virtuell erlebt werden können.

Wir sind, keine Frage, eine Gesellschaft von Narzissten geworden. Und wir sind eine narzisstische Gesellschaft geworden, die eben auch den Kontakt zu ihrem Kern verloren hat und sich – deswegen – selbst überschätzt und glorifiziert. Und längst haben wir uns auch vorbildhafte Plattformen für gepflegte Nabelschau geschaffen – und en masse bevölkert: Facebook, Google+, Twitter & Co. Mit den Pendants in China sind schätzungsweise zu Anfang 2012 wohl locker 1,5 Milliarden Menschen in Sozialen Netzwerken aktiv.

Die Kultur des Narzissmus

Schon 1979 hat der amerikanische Historiker und Sozialkritiker Christopher Lasch mit seinem Werk „The Culture of Narzissim“ (deutsch: „Das Zeitalter des Narzissmus“) einen Bestseller geschrieben. Er beschwor damals einen Niedergang einer heilen (amerikanischen) Gesellschaft. Seine mit den Jahren immer konservativeren Ansichten verhinderten eine breite Aufnahme seiner Thesen. Seitdem sind immer wieder Publikationen zum Thema Narzissmus erschienen, wissenschaftliche, populärwissenschaftliche und schmalspurpsychologische. Sie alle verbindet das Schicksal ausgeprägter Erfolgslosigkeit.

Mich fasziniert das Thema Narzissmus schon ewig lange. Kein Wunder, habe ich in einer der wohl narzisstischsten Zünfte gearbeitet, die es bisher gab, dem Journalismus. Wie anders konnte man da überleben, ohne sich selbst, seine Meinung und seine Gedanken (zu) wichtig zu nehmen. Das wird in diesem Metier mit der Zeit gerne auch chronisch – man bedenke, früher gab es kaum ernst zu nehmendes Leserecho als Korrektiv. Ich habe lange geglaubt, dass Narzissmus als Thema keine Chance hat, weil die Gesellschaft längst zu narzisstisch geworden ist und dieses Manko als blinden Fleck gesellschaftlich erfolgreich ausgeblendet hat. (So falsch mag diese These auch gar nicht sein.)

Narzissmus als Überlebenshilfe

Die Wahrheit ist aber wohl eher, dass unser Leidensdruck persönlich und als Gesellschaft narzisstisch zu sein, sehr schwach ausgeprägt ist – und kontinuierlich nachlässt. Das hat mehrere Gründe. Zum einen ist eine narzisstische Ausprägung gar nicht so negativ. Psychologen unterscheiden heute schon zwischen positivem und negativem Narzissmus. Die positiven Aspekte sind eine positive Einstellung zu sich selbst, ein starkes Selbstwertgefühl und eine ko-evolutionäre Liebesfähigkeit. (Die christliche Charitas wörtlich interpretiert: „Liebe den Nächsten wie dich selbst!“) – In amerikanischen Veröffentlichungen war sogar davon die Rede, dass für erfolgreiche Führungspersönlichkeiten stets ein gesundes Maß an Narzissmus zur mentalen Grundausstattung gehören sollte.

Aber auch ohne den Narzissmus positiv umwerten zu wollen, ist die forcierte Beschäftigung mit sich selbst heutzutage eine Selbstverständlichkeit. In dem Vielerlei an Rollen, Aufgaben, Optionen und Persönlichkeits-Aspekten, die heute jedem intelligenten Menschen zur Verfügung stehen und die ausprobiert und bespielt werden müssen, ist ein ausgiebiges Kreisen um sich selbst unausweichlich. Und in einer Welt, die sich so rasch wandelt wie nie zuvor, die komplex und chaotisch ist, muss man sich geflissentlich um sich selbst und seine eigene Weiterentwicklung kümmern. Das Vorbild ist längst nicht mehr eine in Granit gemeißelte fixe Persönlichkeit, sondern ein fluides Ich, das sich kontinuierlich weiterentwickeln kann. Das setzt dann doch reichlich Beschäftigung mit sich und seinem Ich voraus, sozusagen einen konstruktiven Narzissmus.

Begleiterscheinungen und Nebenwirkungen

Eine ausgeprägte narzisstische Persönlichkeitsstörung ist dann schmerzhaft und schwer aushaltbar, wenn Menschen damit beispielsweise Untergebene oder emotional abhängige Menschen drangsalieren und ihren Launen und Machtspielchen aussetzen. In einer Zeit mit immer flacheren Hierarchien und zeitlich immer begrenzteren Machtübertragungen sind diese misslichen Begleiterscheinungen und Nebenwirkungen eines krankhaften Narzissmus im Arbeitsumfeld immer leichter zu vermeiden oder auch auszuhalten. In einer Informationsgesellschaft sind institutionelle Machtpositionen ein Auslaufmodell, und in einer Netzwerkgesellschaft rächt sich jede narzisstische Monomanie unmittelbar. Man verliert umgehend für alle anderen Normal-Narzissten an Attraktivität.

Vor allem aber werden der allzu großen Ich-Liebe zunehmend die soziologischen Grundlagen entzogen. Narzissmus ist die logische (Negativ-)Folge des Individualismus. Je mehr ich an der Unverwechselbarkeit und Unikatmäßigkeit meines Ichs arbeiten muss, wie das in hoch ausindividualisierten Gesellschaften unausweichlich der Fall ist, ist Narzissmus sozusagen system-immanent und eine logische Folgeerscheinung. In unserer digitalen Gesellschaft mit seiner fundamentalen Transparenz und schwindenden Rückzugsmöglichkeiten in ein individuelles Solitär-Dasein ist das Ende des Individualismus, wie ihn das 20. Jahrhundert geprägt hat, absehbar. Und mit ihm hat das, was wir bisher als Narzissmus kennen- und zu fürchten gelernt haben, wohl bald ausgedient.

Wie dann aber etwa ein neuer, digitaler Narzissmus aussehen kann, darüber mag spekuliert werden: Wenn etwa mangelnde Aufmerksamkeit oder Anerkennung zu verzweifelter Inszenierung des digitalen Ich führt. Eine frühe Vorform hat sich als Kim-Schmitz-Syndrom manifestiert, mit tragischen Symptomen wie etwa Auto-Nummernschildern mit der Buchstabenfolge: „GOD“… – das wäre dann eher Narrzissmus…

Danke, danke, danke


Rente von der Post

Der einzige Beruf, den ich wirklich „erlernt“ habe, ist der des Briefträgers. Und was heißt „erlernt“. Ich habe eine einwöchige Einweisung bekommen, und das war’s. Da war ich 16 Jahre alt – und fortan habe ich in allen großen Ferien – und später dann in den Semesterferien als Zusteller bei der Post gejobt. 10 Jahre lang. Ich war knapp davor Rentenansprüche zu erwerben, hieß es damals im Scherz.

Briefträger war damals ein richtig toller Job, speziell im Sommer, wenn das Postaufkommen geringer war. Wenn man sich richtig sputete, dann war man schon um 13:00 Uhr mit allem fertig – und ab ging’s ins Michaelibad oder an den Feldkirchener Baggersee. Dort habe ich aber meist erst einmal mein Schlafdefizit ausgeglichen, schließlich ging es in dem Job schon um 5:00 Uhr oder 5:30 los.

Lehrstunde fürs Leben

Damals zahlte man noch viel Geld bar aus. Vor allem Renten wurden da noch persönlich an der Haustüre ausgezahlt. Meine Mutter fiel fast in Ohnmacht, als sie erfuhr, dass ich mit meinen 16 Jahren manchen Tag um den Zahltag herum mit 50.000 Mark in kleinen Scheinen unterwegs war.

Die Rentenzahlungen brachten netterweise beachtliche Trinkgelder. Zu den 1.500 Mark, die ich damals im Monat verdiente, kam gerne noch mal die Hälfte als Trinkgeld dazu. Je nachdem in welchem Viertel man unterwegs war. Im noblen Bogenhausen sah es damit schlecht aus. Keine Renten und die Ärzte, denen man täglich Massen von Päckchen mit Arzneiproben vorbeibringen musste, ließen sich noch den letzten Pfennig herausgeben.

Viel besser war es dagegen in den Arbeitervierteln in Ramersdorf oder Berg-am-Laim. Hier war es selbstverständlich, dem „jungen Studenten“ reichlich Trinkgeld zu geben. Und Lehrstunde fürs Leben: je kleiner die Rente war, die es auszuzahlen galt, desto höher das Trinkgeld. Und wehe, man zögerte es anzunehmen, denn das war Ehrensache.

Freiheit mit 120 Watt

Das Geld war mir damals auch wichtig. Es machte mich unabhängig von den pädagogischen Einflussversuchen meiner Mutter. Es finanzierte meine erste E-Gitarre, eine Les-Paul-Kopie von Höfner (die mit dem Bass, den Paul McCartney heute noch spielt) mit echten Gibson-Tonabnehmern. Dazu ein Dynacord-Verstärker (den ich vor lauter Röhren kaum heben konnte) und eine Allsound-Box mit 120 Watt Musikleistung.

Das war richtig schön laut. Im Reihenhaus reichte das selbst mit halber Stärke noch fünf Häuser weit. Später leistete ich mir sogar einen echten VOX AC-30. (Alles wurde irgendwann in irgendwelchen Übungsräumen geklaut, nur die Gitarre gibt es noch!)

Das Geld finanzierte aber auch Reisen. Denn in den verbleibenden 10 bis 14 Tagen der Ferien musste die zuvor – mangels Schlaf – zu kurz gekommene Erholung dann im Schnelldurchgang nachgeholt werden. Das führte dann auch schon mal zu einer Woche wortlosen Lesens am Strand und gefühlten drei kompletten Sätzen pro Tag.

Danken im Affekt

Diese autistischen Phasen waren nötig, um sich von der schlimmsten Berufskrankheit eines jungen, eifrigen – und natürlich höflichen – Briefträgerdaseins zu erholen: dem manischen Dank-Affekt. Als Briefträger, als höflicher noch zudem, hatte man stets für irgendetwas zu danken. Für Trinkgeld, für das Aufmachen von verschlossenen Türen, für Unterschriften, für angebotene Kaffees etc.. Das führte dazu, dass man sich schließlich irgendwann bei Jedem und für alles bedankte. Rein aus dem Affekt heraus. Selbst wenn einem die Tür vor der Nase zugeschlagen wurde: „Danke!“

Das Danke-Sagen habe ich mir dann aber immer schnell wieder abgewöhnt, es war einfach zu uncool. Wie man sich ja überhaupt, wenn man sich vom Elternhaus und seinen Konventionen ablöst, erst mal dezidiert von den dort beigebrachten Höflichkeits-Gesten und -Floskeln frei macht. Das ist zwar nicht sehr schön für das persönliche Umfeld, vermittelt aber ein schön post-pubertäres Gefühl von Unabhängigkeit und Freiheit.

Die Schule der Dankbarkeit

Erst allmählich in der langen Phase des relaxten Erwachsenseins lernt man das Danke wieder zu schätzen – und auch selbst wieder zu verwenden. Wenn einem ein Kollege oder Mitarbeiter aus einer verfahrenen Situation hilft. Wenn man Unterstützung genau dann bekommt, wenn man es am nötigsten hat. Oder auch einfach, weil man sich über etwas freut.

Die beste Schule der ebenso unverbindlichen wie effektiven Danke-Kultur habe ich in den USA genossen. Da war zwar auch viel notorisches Danke-Sagen dabei wie ich es einst als Postbote praktiziert habe, aber ich habe es zu schätzen gelernt.

Digitale Dankbarkeit

Einen ähnlichen Prozess haben auch die digitalen Medien gemacht. Am Anfang, als Interaktivität noch kaum entdeckt war und praktiziert wurde, war ein Danke und positives Feedback absolute Mangelware. Das haben die Social Media dankenswerterweise (!) geändert. Jedes „Like“ ist ja nicht nur Zustimmung und Zeichen der Aufmerksamkeit, sondern auch immer ein kleines Danke. Ein Danke für eine schöne Formulierung, eine gute Idee oder einen wichtigen Gedanken.

Nur da, wo ein kleines Danke, eine zarte Anerkennung bzw. positives Feedback am dringendsten notwendig wären, fehlt es noch immer viel zu sehr: bei Online-Shopping und eCommerce. In den wenigsten digitalen Kaufprozessen bekommt der Kunde nötigen Rückhalt oder positive Anerkennung. Jeder gute Verkäufer weiß, wie wichtig es ist, einen Kunden bei der Entscheidung für eine Kaufinvestition kontinuierlich zu unterstützen und zu bestärken. Nur im digitalen Raum interessiert das kaum jemanden.

Man muss sich nur mal durch die diversen Konfiguratoren etwa der Autobranche kämpfen. Dort wird nicht einmal der rationalste Kunde glücklich. Wer aber etwas Emphase oder gar Empathie erwartet, keine Chance. Dabei braucht jeder die Umschmeichelung unserer tief sitzenden – und gar nicht so negativen – narzisstischen Bedürfnisse.

Danke an die Käufer – und an die Leser

Und das wäre dann die Krönung der Individualisierung im Kaufprozess. Jeder Kunde bekommt genau den emotionalen Response, den er persönlich braucht, genau die Dosis an „Danke“, die ihn freut. Nicht zu wenig, wie heute; und nicht zu viel, denn das wäre cheesy.

Apropos, lieber Leser: Danke, dass Du Dich so weit durch diesen Text durchgekämpft hast. Ohne Dein Interesse und Deine Aufmerksamkeit zu verlieren.

Im Ernst. Ich danke allen meinen Lesern, ohne Euer Interesse würde das Schreiben eines solchen Blogs nur halb so viel Spaß machen. Jeder Hit in der Seiten-Statistik ist ja auch ein Interesse-Danke. Besonderen Dank aber an alle, die Kommentare gegeben haben, hier, auf Facebook oder per Mail. Und ein ganz großes Dankeschön an alle, die auf diesen Blog verlinkt haben und so ganz neue Leser auf diesen Versuch, einen Unterschied zu machen, hingewiesen haben.

Action in der Echokammer


Jeder hat den Freundeskreis, den er verdient

Trends und Zeitgeist. Die Akzeptanz von neuen Ideen, neuen sozialen Ritualen , neuen Technologien ist immer auch ein Kampf um Begriffe. Mit griffigen, attraktiven Begriffen kann man neue Ideen wunderbar schmackhaft machen. Einer der besten Begriffe-Köche, der immer neue Termini aus dem Hut zauberte, war (und ist) Mathias Horx. Wieviele neue Trends hat er uns durch würzige Begriffe schmackhaft gemacht!

Nymphe Echo scheitert an Narcissus

Man kann mit perfide kreativer Wortwahl aber ebenso gut Neues sublim diskreditieren. Kein Problem. Auffällig in dem Zusammenhang ist die derzeitige Häufung des Begriffes „Echokammer“ – gerne auch in der angelsächsischen Version „Echo Chamber“. Damit werden nur allzu gerne die Social Media diskreditiert. Den Vorwurf, in den Social Media werde nur unter Seinesgleichen die eigene Meinung zementiert, formuliert im Blogbeitrag zum 15. Trendtag Thomas Huber (semanticon Unternehmensberatung): „Der explizit erklärte Zweck solcher Plattformen ist es, unter sich zu bleiben, die eigene Gruppe und ihre Überzeugung zu stärken und die eigene Sicht der Dinge nicht mehr zur Disposition zu stellen. Sie fungieren daher vor allem als Resonanzböden der jeweiligen Orientierung – der „Weltinnenraum des Kapitals“ zerfällt in unendlich viele kleine Echokammern. Man hört in dieser Abgeschiedenheit nur noch sich selbst, wie einst der bayerische Märchenkönig Ludwig II., der auf einem Floß im Königsee ganz versunken seinem eigenen Echo lauschte.“

Temperament gegen Teilzeit-Blockwarte

Huber sorgt sich angesichts der Fantalliarden von Echokammern um die Zukunft des kritischen Diskurses:  „Wie aber sollen künftig politische Diskurse in der bürgerlichen Öffentlichkeit organisiert werden, wenn einerseits die klassischen Medien mit Mut- und Fantasielosigkeit ihre Selbstzerstörung betreiben und zugleich andererseits der Trend zum social cocooning die politischen und sozialen Räume in wenige per RRS-Feed vernetzte Echokammern auf der eigenen Favoritenliste eingrenzt und eine (Re-) Flexion nicht mehr zulässt?“

Einwurf Eins: Jeder hat die Facebook-Gemeinde und den Twitter-Followermob, die er sich selbst gewählt hat. Härter formuliert: die er verdient. Wenn dann dort die Erfahrung gemacht wird, dass ein kritischer Dialog und jedwede Reflexion dort nicht funktionieren, dann sollte das zu denken geben. Ich würde an der Stelle diese Erfahrung erstens nicht verallgemeinern und dann – zweitens – schon gar nicht der Öffentlichkeit preis geben.

Natürlich finde ich es selten doof, wie schon erlebt, dass ein militanter Nichtraucher einen seiner Freunde aus Facebook verbannt, weil der raucht – und das auch in Zukunft auch weiter in Restaurants tun will. Aber wer hat mittlerweile immer noch nicht mitgekriegt, dass das Internet ganz wie das ganz normale Leben ist? Auch dort gibt es Teilzeit-Hausmeister, -Blockwarte, -Wichtigtuer und -Ideologen. Aber dagegen stehen so viel Witz, Engagement, Mut, Intelligenz, Temperament, Wärme und Liebe bis hin zur Euphorie, die das mehr als wettmachen.

Echo, die Schutzheilige der Re-Tweets

Einwurf Zwei: Die Echokammer als Beschreibung eines virtuellen Schmorens im eigenen Saft ist vom mythischen Bild her arg schief. Kurz zur Erinnerung: Die schöne Nymphe Echo scheitert tragisch in ihrem Versuch, den (selbstverliebten) Jüngling Narcissus zu bezirzen, weil ihr Hera die Sprache geraubt hat und ihr nur noch die Fähigkeit gelassen hat, die letzten Worte eines anderen zu wiederholen. Hera rächt sich damit an Echo, die ihr Geschichten erzählt hat, um so Heras Mann Zeus den Freiraum für amouröse Eskapaden zu geben. So gesehen ist die Nymphe Echo die Schutzheilige des intentionalen Storytellings – und aller Re-Tweeter.

Die Nymphe wird von Narzissus gar nicht wahrgenommen und verzweifelt darüber, zieht sich in eine Höhle zurück (Echokammer!) und verzehrt sich, bis sie nur noch Stimme ist. Gerade Narzissmus, der doch angeblich in Social Media so exzessiv gepflegt wird, nimmt das Echo gar nicht wahr…

Resonanzkörper voller Leben

Einwurf drei: Echokammer ist eigentlich ein Begriff aus der Tontechnik. Seit den 30er-Jahren, seit der Erfindung der Tonaufnahme, gibt es sie, um Musik mehr Volumen, mehr Hall und mal mehr Leben, mal mehr Melancholie zu geben. Die vielleicht berühmteste Echokammer gab es in den Abbey Studios, die später durch die Plattenaufnahmen der Beatles berühmt geworden sind. Die berühmteste Echokammer Deutschlands waren die riesigen Hallen der Hansa-Tonstudios. David Bowies Stimme in „Heroes“ etwa hat durch sie seine besondere Sounddramatik erhalten. Manchmal waren die Echokammern aber auch viel kleiner und profaner. Die Doors etwa nutzten ihr Klo als Echokammer.

So gesehen dreht es einem bei Thomas Hubers Bild von König Ludwig auf seinem Floß die Fußnägel auf. Er genau war nicht in einer Echokammer. Diese eben waren eher Resonanzböden, um Musik besondere Dimensionen zu geben und genau nicht, um Leere und Nichtigkeit zu erzeugen. Auch dann nicht, als Echokammern seit den 50er-Jahren elektronische Geräte waren (zunächst Tonbänder mit Endlos-Loop) und dann digitale Schaltkreise…

Social Media sind künftig die Medien

Einwand Vier: Ich stimme voll mit Rob Key überein, der in einem Artikel in iMEDIA forderte: We have to kill „Social Media“! Halt, keine Angst, Key ist nicht das US-Pendant zu Thomas Huber. Im Gegenteil. Er findet, es ist höchste Zeit, aufzuhören von „Social Media“ zu reden. Der Begriff tut, als wäre es irgendwas Besonderes, dass Menschen wie selbstverständlich miteinander im Internet kommunizieren, ganz ohne Anleitung von oben, außen oder sonstwo her. Zitat Rob Key: „We are rapidly moving to a post-social media world, where all media is social, and brands and businesses recognize its power to influence the entire enterprise.“

Kommunikation ist immer sozial. Medien sollten immer Kommunikation sein. Social Media wird DAS Medium sein. Ganz einfach – ohne Echo und jenseits aller Kammern…

Biografische Exit-Strategien


Das Dilemma – wie kommt man aus der Nummer raus?

Einer meiner Lieblingsautoren, wenn es um Action-Filme in Buchform geht, ist Lee Child. Perfekt, wie er das Format seines Helden Jack Reacher und seiner Romane gestaltet hat. Innerhalb dieses klar gesteckten Areals lässt er dann seiner Phantasie und seinem Einfallsreichtum freien Lauf.

Lee Child beschreibt seinen Schreibstil so: Er erfindet eine spannende, außergewöhnliche Situation, in die er seinen Helden aussetzt. Dann lässt er der Geschichte bis zur Mitte des Romans ihren Lauf (und dabei viel Fahrt aufnehmen), und die zweite Hälfte der normalerweise 500 bis 600 Seiten verwendet er dann darauf, einen sinnvollen und befriedigen Schluss zu finden. Normalerweise gelingt es ihm ganz gut, dass sein Held gut aus der Nummer, die ihm sein Autor eingebrockt hat, heraus kommt.

Im realen Leben ist das nicht so einfach. Wer sich da ein falsches Drehbuch geschrieben hat – oder hat schreiben lassen – für den kann es sehr schwer werden, aus seiner Nummer wieder herauszukommen. Exemplarische Beispiele finden sich gerade zuhauf: Riekel, Amerell, Westerwelle… Das Dilemma ist, dass es in der Medienwelt von heute kaum mehr brauchbare Exit-Strategien gibt für Menschen, die sich heillos verrannt haben. Die simpelste und glaubwürdigste Lösung verbietet sich leider von selbst, einfach zu sagen: „Sorry, ich habe mich geirrt!“ Oder: „Wir haben verstanden!“

Es ist ja kein Zufall, wenn jemand in eine prekäre Position (inhaltlich, nicht institutionell) geraten ist. Entweder hat er eine andere Agenda als die Mehrheit der Journalisten – oder schlimmer der Menschen, draußen im Lande. Griffiges Beispiel ist Westerwelles Versuch, die Umfragewerte mit Angriffen auf Hartz IV zu verbessern. Ganz grausam ist es, wenn der Zeitgeist sich so markant dreht, dass es Beteiligte in ihrer Binnenwahrnehmung nicht mehr mitbekommen. Schönes Beispiel Riekel und ihre juristische Replik an Künast. Es geht eben nicht mehr um das verbriefte Recht, mit glitschigen Liebesstories Auflage zu machen, sondern um einen desaströsen Imageverfall von Journalismus und eine schlimme Banalisierung von Politik.

Drei Stationen U-Bahn-Fahrt

Und es kommt noch die persönliche Komponente hinzu. Politiker, Journalisten und Medienprominenz leben alle in einem unguten Kokon, der eine vernünftige Selbstwahrnehmung fast unmöglich macht. Guido Westerwelle missversteht die Zustimmung einer BILD wohl tatsächlich als Lebenswirklichkeit.

Tom Schimmeck bringt das Problem im Interview im aktuellen „Journalist“ (leider – und bezeichnenderweise nicht online!) auf den Punkt: „Wirklichkeitskontakt? Regelmäßige Ausflüge drei, vier Stationen mit der U-Bahn in eine beliebige Richtung? Das wäre ein Anfang, für den man Zeit aufbringen müsste.“ Eine leider nicht mehr praktizierte Exit-Strategie. Da sind schon die Bodyguards vor. (Der letzte passionierte U-Bahn-Fahrer in der Politik war wohl Hans-Jochen Vogel.)

Das zweite Problem ist die psychologische Komponente. Politiker, Journalisten und Medienprominenz stehen ja nicht zufällig im Rampenlicht. Sie wollten ja dort hin. Entsprechend ist ihre psychische Grundausstattung: narzisstisch bis hoch-narzisstisch. Und für einen Narzisst bricht per definitionem eine Welt zusammen, wenn er einen Fehler eingestehen müsste. Falsch: er kann ja gar keine Fehler machen, weil ja großübermächtig. Die Welt ist falsch, nicht er selbst. Aber die Idee, dass sich die Welt ändert, nur damit ein selbst-gerechter Mensch recht behalten darf, ist auch keine gangbare Exit-Strategie.

Ich habe einmal in meinem Leben das Vergnügen gehabt, Jörg Haider zu interviewen. Ich war dafür wohl so gut vorbereitet wie noch zu keinem Interview zuvor. Und ich kann nicht behaupten, dass ich in dem Interview gewonnen hätte. Man kann keinen Pudding an die Wand nageln – und keinen rechten, liberalen Populisten auf eine Position festlegen, um von dort aus mit ihm zu streiten. Die Weltlage ist für solche Menschen ein Konstrukt, das je nach Bedarf und Laune interpretiert werden darf.

Die Frage an Haider, auf die ich vorweg am meisten stolz war, lautete so. „Wenn Sie, Herr Haider, in Afrika geboren wären oder auf dem Balkan, so fit und ehrgeizig wie Sie sind, Sie wären doch der erste, der sich auf den Weg macht, illegal in Europa einzuwandern!“ Haiders trockene Antwort: „Genau vor denen müssen wir uns hier in Europa schützen!“ – Eben.

Die letzte Hoffnung: Genscher oder Neo

Wie also könnte eine funktionierende Exit-Strategie aussehen? Irgendwelche Peinlichkeiten von wegen „Missverständnis“ oder „missverstanden“ schließen sich längst aus. Auch die beliebte Medienschelte ist ab einem gewissen Punkt nicht mehr glaubhaft: …falsch interpretiert worden…“. Der Gang nach Canossa ist (für Narzissten) sowieso nicht gangbar. Bleibt als einzige Hoffnung Hilfe von außen. Bei Westerwelle: bitte, heiliger Dietrich (Genscher), hilf! Bei Riekel könnten ja Spin-Doktoren des Burda-Verlages hilfreich einschreiten. Bei Amerell? Schwierig, nachdem Kerner jetzt schon mal ausfällt. Collina?

In Filmen, die aus einem Plot nicht mehr vernünftig herausfinden, ist ja der Trick sehr beliebt, dass der Held am Ende aus seinem Alptraum, den er die 90 Minuten zuvor gehabt hat, aufwacht. Fragt sich, wer weckt uns? Neo, Ihr Einsatz bitte…

Bullshit / Unendlichkeit / Dummheit


Über die Dummheit

Meine Erinnerung an Robert Musil machte mich auf ein kleines Pamphlet aus seiner Feder aufmerksam: „Über die Dummheit“ (Alexander Verlag Berlin). Ein Abdruck einer Rede, die Robert Musil 1937 (!) vor dem Österreichischen Werkbund gehalten hat. Es ist die Ausformulierung seines 1931 formulierten köstlichen Bonmots: „Wenn die Dummheit nicht dem Fortschritt, dem Talent, der Hoffnung oder der Verbesserung zum Verwechseln ähnlich sähe, würde niemand dumm sein wollen.“

Das Büchlein, gerade mal 63 knappe, in großen Lettern gedruckte Seiten dick, liest sich teilweise amüsant – und hält einige Perlen bereit. Etwa die Schilderung einer damals wohl bekannten Dame, deren Beschränktheit Musil so beschreibt: „Sie spricht viel von sich, und sie spricht überhaupt viel. Sie urteilt sehr bestimmt und über alles. Sie ist eitel und unbescheiden. Sie belehrt uns oft. “ Es muss der Zeitgeist sein, der mir bei dieser Beschreibung das Bild eines Mannes mit gelben Haaren vor Augen brachte.

Das Gefühl von Unendlichkeit

Und hier fällt mir spontan mein Lieblingszitat von Ödön von Horvath ein: „Nichts vermittelt einem so sehr das Gefühl von Unendlichkeit, wie die Dummheit.“ Eine Beobachtung, die Horvath mit Albert Einstein teilt. Dessen Seufzen über menschliche Denkdefizite klingt ähnlich: „Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit; aber bei dem Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher.“

Das Schlimme an der Dummheit des 21. Jahrhunderts ist, dass die Dummheit immer lauter wird. Da keiner mehr als dumm gelten will (siehe Musil weiter oben), wird alles dafür getan, nicht dumm zu wirken. Lautstärke scheint da immer ein geeignetes Mittel zu sein. Dummerweise fällt Dummheit um so mehr auf, je lauter sie daher kommt. Und auch der Versuch, dann wenigstens die Rolle eines weniger Dummen spielen zu wollen (siehe hierzu „Darsteller der Wirklichkeit“), funktioniert sehr selten. Eine falsche Geste, ein falscher Mucks, und schon platzt der Ballon der Mimikry .

Notorische Dummheit

Mein Plädoyer geht bei diesem Thema aber in eine andere Richtung. So wie wir gelernt haben, dass es nicht die Intelligenz, sondern eine riesige Bandbreite davon gibt: emotionale Intelligenz, soziale Intelligenz, mathematische, geometrische, memnotische und was es sonst noch alles gibt – so sollten wir auch bei der Dummheit solch kluge Kategorisierungen vornehmen. Soziale, finanzpolitische, politische, strategische, notorische, emotionale Dummheit etc. – Und da kommen wir ganz schnell im Bereich der menschlichen Unreife an. Genauer gesagt, zu meinem Lieblingsthema Narzissmus.

Diese in pubertären Zeiten absolut sinnvolle, später aber für die (Um-)Welt eher schmerzhafte Persönlichkeitsstörung ist für mich heute der Ursprung der allerschlimmsten Dummheiten. Der Allmachtsgedanke des Narzissten schaltet von vornherein allen Zweifel und alle Reflexion aus. Beste Voraussetzungen für Dummheit jeden Kalibers. – Am häufigsten findet man das dort, wo Narzissmus berufsbedingt vorkommt, wo Macht per se das vorrangige Berufsziel ist. Im Top-Management und vor allem in der Politik. Dort lässt man sich ja hinwählen, weil man berufsmäßig immer recht hat.

About bullshitting

Wer dieses Thema vertiefen mag, dem sei folgende kleine Perle geschliffenen Philosophie-Unsinns empfohlen: „On Bullshit“ (Princeton University Press) von Harry G. Frankfurt, einem emeritierten Philosophie-Professor der Princeton University. Seine Analyse des Bullshitting bei Politikern ist sehr präzise: „Bullshit is unavoidable whenever circumstances require someone to talk without knowing what he is talking about. Thus the production of bullshit is stimulated whenever a person’s obligations or opportunities to speak about some topic exceed his knowledge of the facts that are relevant to that topic. This discrepancy is common in public life…“

Professor Frankfurt bietet auch leider nur wenig Trost. Ernsthaftigkeit als Heilmittel gegen Bullshitting ist für ihn auch keine Lösung: „Sincerity itself is bullshit!“ Und selbst Konfuzius hilft hier nicht recht weiter. Zitat: „Nur die Weisesten und die Dümmsten können sich nicht ändern.“

Das tiefe Tal des gedanklichen Mülls

Jetzt hat sich zudem mein Lieblings-Blog „ribbonfarm“ mit dem epochalen Werk von Harry G. Frankfurt auseinandergesetzt. Natürlich aus aktuellem – amerikanischem -Anlass. Denn die Masse an Bullshit, von lautem, ja offiziellem und machtvollen Bullshit war noch nie so groß wie heute. Der Versuch eines Trosts ist da sehr speziell: Vielleicht müsse man erst ein tiefes Tal von Bullshit (und Fake News) durchwaten, bis man neue Höhen von Wahrheit und Brillianz erleben darf.

Auch Musil tröstet am Ende seiner Rede über die Dummheit: „…einen Schritt (weiter) und wir kämen aus dem Bereich der Dummheit, der selbst theoretisch noch abwechslungsreich ist, in das Reich der Weisheit, eine öde und im allgemeinen gemiedene Gegend.“ Also amüsieren wir uns halt weiter wie doof…