Facebook – alles viel zu nett hier?
Ein Blick auf die Riege meiner Freunde auf Facebook. Alles so nette Leute! Kein Wunder, sind ja meine Freunde! Aber im Ernst, so weit man rum kuckt, was immer man liest, alles ist nett, interessant und oft genug überraschend und anregend. (Na ja, fast alles – ich mag Farmville & Co. nicht.) Ich werde den Eindruck nicht los, dass Facebook ein Tool ist, das auf eine ganz kuriose Weise die eher angenehmere Art jedes Menschen zum Vorschein bringt. Es macht nicht bessere Menschen aus uns, aber – mal mutig formuliert – es bringt unsere gute Seite zum Klingen.
Wer kennt das nicht? Eine der eher früheren Erfahrungen in meinem Leben war, wie sehr sich Freunde mit wechselnden Partnern ganz verschieden entwickelten. Mit der einen Freundin waren sie arrogante Dödel, mit der anderen fiese Möppe – und dann plötzlich erlebten sie eine Bekehrung auf ihre beste Seite – mit einer anderen Flamme an der Seite. (Nicht alle sind dann bei der geblieben, komisch!) Es gibt einfach Menschen, die bringen einen dazu, auf der Bandbreite menschlicher Qualitäten, die einem mit in die Wiege gelegt worden sind oder später mühsam dazu erworben sind, die Juwelen, Kristalle und Gemmen zu zeigen, und nicht die dunklen Brocken, das Kryptonit oder andere Giftstoffe.
Und jetzt gibt es eben eine Plattform im Internet, die Ähnliches schafft. – „Ja, ja!“, winken die Facebook- und Web 2.0-Miesepeter da sicher gleich ab. „Alles Heuchelei, alles nur Fassade! Denn wer will denn vor aller Welt seine dunklen Seiten ins Schaufenster stellen.“ Und dann geht es mit den üblichen Vorurteilen und Bedenken weiter: Wenn man dort was Falsches postet, dann begleitet einen das sein ganzes Leben. Arbeitgeber haben nichts Besseres zu tun, als gnadenlos so lange im Netz zu recherchieren, bis irgendein belastendes Foto zu finden ist. Das falsche YouTube-Video oder die falsche Mucke empfohlen und schon entlarvt man sich psychologisch als labil oder geschmackstechnisch als untalentiert.
Facebook = Digitale Bigotterie?
Ich liebe solch Kritik und Skepsis von Menschen (not!), die kaum selbst mal richtig in die Sozialen Netze reingeschmeckt haben, ganz zu schweigen, dass sie sich ernsthaft darauf eingelassen und vielleicht sogar so etwas wie digitale Euphorie zugelassen haben. Die wollen vielleicht einfach nicht, dass Facebook ihre guten, schönen, sympathischen, netten Seiten betont. Schränkt ja auch sehr ein, zugegeben. Ich jedenfalls finde es eine echte Befreiung, meine positive Seite zu zelebrieren.
Das alles hat mit Heuchelei oder digitaler Bigotterie nichts zu tun. Ein faszinierendes Phänomen ist, dass Netzwerke automatisch dazu neigen, gute Stimmung zu verbreiten. Während es in analogem Ambiente wie S-Bahnen, Warteräumen, Büros oder Kneipen durchaus gelingen kann, eine ganze Fahrt, einen ganzen Tag oder einen ganzen Abend lang nur zu mosern, zu klagen und schlechte Stimmung zu verbreiten, funktioniert das in Netzwerken so gar nicht. Stimmungsmuffel und Miesepeter haben hier auf die Dauer keine Chance. Sie vereinsamen schnell. (Hide-Button sei dank!)
Gerade Facebook ist eigentlich eine einzige große Überraschungs-, Wunder- und Lernmaschine. Dort (und natürlich auch bei Twitter) werden die außergewöhnlichen Momente mit den Freunden geteilt. Fotos, Videos, Links, Ideen, Aphorismen und Sinnsprüche. In den besten Fällen entwickeln Facebook-Poster eine ihnen eigene Poesie in ihren Texten und Fotos. Andere setzen witzige Akzente, wieder andere sind echt euphoriebegabt. In langen Kommentarketten entstehen im besten Fall regelrechte Satire-Perlen – oder auf der ernsten Seite echt hilfreiche Initiativen. Wenn das eine Vorahnung davon ist, wie eine künftige Kultur und der Umgangston der Digital Natives aussehen könnte. Wunderbar.
Die wundersame Welt der Digitalität
Eine andere Sorge formuliert aktuell der Elektrische Reporter im ZDF. In seiner Folge über Digitale Identität wird sich um das Wohlbefinden des hybriden Menschen in sozialen Netzwerken gesorgt. Welche Aspekte seiner vielen Seiten soll ein moderner Mensch aus seiner widersprüchlichen Mixtur von gesellschaftlichen Rollen auf Facebook zeigen? Eine kuriose Sorge. Es macht gerade den besonderen Charme einer Facebook-Identität aus, wenn diese vielschichtig und speziell ist, gerne auch widersprüchlich. Welch ein Irrtum, wenn man Authentizität mit einem monolithischen, vermeintlich klaren Persönlichkeitsbild verwechselt. Oder was für eine kuriose Sorge, dass bei Facebook die „Trennwände zwischen unseren Identitäten“ einstürzen.
Abgesehen davon, dass hier Rollen mit Identitäten verwechselt werden, wird hier überholtes und seit je nur künstliches ein Menschen- und Identitätsbild gezeichnet, wie es die Werbebranche seit Jahrzehnten als Karikatur der Wirklichkeit entwickelt hat. Der vielbesungene Gourmet, der auch mal zu McDonald geht. Das Fashion-Victim, das auch mal bei H&M einkauft. Das waren künstliche Pappkameraden, die – durchaus erfolgreich – an die werbende Industrie verkauft wurden. Aber das korrelierte nie so recht mit den Erkenntnissen aus der aktuellen Psychologie, Sozio-Psychologie oder mit modernen Identitäts-Theorien. Und das charakterisierte wohlgemerkt Menschen in analogen Zeiten und Welten.
Wie das einmal – und diese Zeit kann schon sehr bald losgehen – in einer digitalen Welt aussehen wird, das kann man heute nur in Ansätzen erahnen. Keine Angst, es wird nicht übermäßig cyberhaft aussehen. Das gerade lassen Facebook und Twitter heute schon erahnen. Da herrscht keine TRON-hafte Kälte und keine Cyberpunk-Düsternis, sondern eher erfrischende Offenheit, Konstruktivität und kraftvolle Kreativität. Immerhin erkennt auch der Elektrische Reporter, dass widersprüchliche Menschen nicht mehr in ihrer Widersprüchlichkeit auffallen, wenn jedermann widersprüchlich ist, weil wir nun mal alle widersprüchlich sind – und vielschichtig.
Und das ist der Reichtum, den Facebook zu Tage bringt – und dessen Schätze er täglich schürft. Aus uns – für uns.