Lieben Roboter Science Ficition?


Angst vor der eigenen Schöpfung

Man sollte eher gut drauf sein. Nur dann macht es Sinn, sich die Liste der 50 eindrucksvollsten dystopischen Filme zu Gemüte zu führen. Ich bin erschrocken, wie viele dieser zukunftspessimistischen Filme davon zu meinen Lieblingsfilmen gehören und wie sehr einige davon mein Denken geprägt haben. Von den Top 10 habe ich fast alle gesehen – und schätze sie alle (einige mehr, andere weniger):

  1. Metropolis
  2. Clockwork Orange
  3. Brazil
  4. Wings of desire (Engel über Berlin)
  5. Blade Runner
  6. Children of Men
  7. The Matrix
  8. Mad Max 2
  9. Minority Report
  10. Delicatessen

robot-moves-danger-sign-s-0195Der größte gemeinsame Nenner dieser 50 Dystopien ist, dass in den meisten von ihnen künstliche Wesen ihr Unwesen treiben. Cyborgs, Replikanten, Roboter oder andere künstliche Menschenwesen. Die zweite Schöpfungsgeschichte sozusagen: Die Menschen schufen Wesen nach ihrem Ebenbilde. Und wie wir, bzw. Adam und Eva, wollen auch die künstlichen Wesen vom Baum der Erkenntnis naschen – und wenden sich so gegen ihre Schöpfer.

Diese absurde Angst vor der Schöpferrolle des Menschen! Wir schaffen Wesen nach unserem Vorbild – und diese wenden sich dann gegen uns und übernehmen die Macht. Mal keck weitergedacht: Spiegelt sich hier unsere Angst, unserem Schöpfer könnte es einst genauso gegangen sein?

Sind uns Roboter überlegen?

Entsprechend negativ ist über all die Jahre die Rezeption der Idee des Roboters und des brav funktionierenden Humanoiden. Vielleicht weil er in seiner maschinenhaften Effizienz uns Menschen vor Augen führt, wie maschinenhaft viele unserer Arbeiten sind – und wie wenig wir dafür mit all unserer menschlichen Beschränktheit an Kraft und repetitiver Präzision geeignet sind.

Bisher konnte man sich gegenüber der Maschinen-Konkurrenz relativ in Sicherheit wiegen. Das war eine Zukunft, die ganz weit weg war. Was sich dann doch einmal bis in die Medien vorgekämpft hatte, das waren drollig aussehende, dem Kindchen-Schema brav entsprechende Prototypen, die eigentlich nur Maschinen-Intelligenz und Praktikabilität simulierten. Letztendlich waren sie alle zu nichts Vernünftigem zu gebrauchen. Bei mir im Keller verstaubt auch noch ein Sony Aibo, der kleine Roboter-Hund, der trotz sorgfältiger Pflege kaum etwas vom versprochenen Lerneffekt zeigte und nur sehr erratisch herumtapste. Was er prima konnte: im Weg rumstehen – und virtuell das Beinchen heben.

Outsorcing an Automaten und Roboter

Plötzlich aber ist es mit dieser Automaten-Idylle vorbei. Roboter sind allenthalben in den Schlagzeilen: Drohnen erledigen schmutziges Kriegsgeschäft in Pakistan. Sie liefern im Auftrag von Amazon oder DHL frei Haus. (Wo bitte, wollen die landen?) Als Quadropter drohen sie vor dem eigenen Schlafzimmerfenster als Flying Peeping Tom herum zu schwirren. In den USA fahren schon mehrere Auto-Flotten ohne jede Intervention von (menschlichen) Fahrern durch die Städte. In den Gärten sorgen Rasenmäher-Roboter für akkurate Rasenlängen. Und es gibt sogar Fensterputz-Roboter.

Noch sind die Geräte wenig überzeugend, verteilen den Schmutz mehr, als sie ihn beseitigen. Aber das sind Kinderkrankheiten. Denn die Roboter sind gnadenlose Nutznießer von Moore’s Law. Ihre Rechnerleistung verdoppelt sich alle 12 bis 24 Monate. Sie denken immer schneller, bisweilen auch immer besser. Unsere produzierende Industrie wäre ohne klaglos arbeitende (Industrie-)Roboter längst nicht mehr konkurrenzfähig. Unsere Autos wären immer noch so unpräzise produziert wie einst vor 20 Jahren. (Nein. Früher war nicht alles besser!) Unsere Chips wären nicht so leistungsfähig und klein. Und unsere Smartphones wären immer noch so unhandlich wie Ziegelsteine.

Die Job-Killer aus der Retorte

Die Roboter sind längst die Garanten unserer Produktivitäts-Steigerungsraten, die unser kapitalistisches System so dringend braucht. Und diese Roboter vernichten dabei stets massenweise Arbeitsplätze. Aber seit den Maschinenstürmern Anfang des 19. Jahrhunderts kam es eigentlich nicht mehr zu rassistischen Ausfällen gegenüber Robotern. Und Widerstand gegen Replikanten gab es bislang nur in Science-Fiction-Filmen (siehe oben).

Schon gibt es Ideen, im Zuge der Evaporisierung von (bezahlter) Arbeit so etwas wie eine Produktivitäts- oder Maschinen-Steuer einzuführen. Eine scheinbar logische Idee, wenn arbeitende Menschen mangels Arbeit als Steuerzahler wegfallen, dann halt ihre Surrogate, die Roboter, die das Gros der Arbeit machen, Steuern zahlen zu lassen. Fragt sich, wann die Androiden & Co. so menschenähnlich werden, dass sie auch Kreativität entwickeln, wie sie Steuern sparen – oder hinterziehen können. Das wäre der ultimative Turing-Test: Können Roboter so intelligent werden wie wir Menschen? Oder wie wir uns fälschlich dafür halten…

Die Umkehrung des Turing-Tests

Während wir uns noch in hyper-replikanter Hybris in intellektueller Sicherheit wiegen, laufen längst die umgekehrten Tests der intelligenten Maschinen mit uns. Funktionieren wir brav so, wie es die Maschinen wollen – und merken es selbst nicht. Wir schreiben brav die CAPTCHA-Texte ab, wenn wir Formulare im Web ausfüllen. Die – vermeintlich – intelligenteren Menschen unter uns, meinen damit etwas Gutes zu tun, nämlich unentgeltlich die Digitalisierung von Büchern durch Google mit menschlichem Wissen zu optimieren. In Wahrheit ist das der perfekte Test der Maschinen, ob wir nicht eine von ihnen sind, bzw. „nur“ brave, sich den Maschinen überlegen fühlende Hominiden.

Die These ist Ihnen ein wenig zu steil? Mehr Beispiele gefällig? Amazon’s Mechanical Turk, die Angebots-Plattform für Billigstlohn-Arbeiten, ist die optimale Clearingstelle der Maschinen-Intelligenz, auf welchen monetären Wert sich menschliche Arbeit herunterhandeln lässt, um noch mit Maschinen-Effizienz und Algorithmus-Präzision mithalten zu können. 1 Cent (US) pro URL, 2 Cent pro ausgefülltem Adressformular, 11 Cent für das Tagging eines „Adult Movie“, das gibt es hier zu verdienen. Das summiert sich – eben nicht. Ach ja, 1 Cent gibt es auch pro ausgefülltem CAPTCHA.

Barrierefreies Lernen für Maschinen

Ein Problem hat die Maschinen-Intelligenz. Sie braucht Stoff. Digitalen Stoff. Denn wie soll sie sonst lernen? Je mehr digitale Daten, desto besser kann sie ihre Schlüsse aus unseren Erfolgen und Misserfolgen ziehen. Und wir liefern brav. Die Bibliothek unseres Wissens macht Google gerade maschinenlesbar. (Für die Fehlerfreiheit sorgen wir Menschen – mittels CAPTCHA.) All unser Leben, all unser Denken wird immer digitaler, dank Social Media, Netzwerken und Kommunikationssystemen. Damit die Maschinen vollen Zugang darauf bekommen- und wir keine abgekapselten Inseln des Wissens mehr haben, haben die NSA (National Security Agency) und die mit ihnen kooperierenden oder konkurrierenden Geheimdienste alle Barrieren, einst Datenschutz genannt, aufgehoben. Sie ermöglichen der Maschinen-Intelligenz jetzt endlich barrierefreies Lernen.

Und damit auch nichts aus dem Datenuniversum, das wir gerade zu explosionsartiger Ausdehnung bringen, verloren geht, baut die US-Regierung in der Wüste den größtmöglichen Datenspeicher mit dem vorläufigen Fassungsvermögen von mindestens zwei kompletten Jahrgängen an Datenvolumen. Da werden die Konkurrenten China, Russland etc. nicht Ruhe geben und ihrerseits Ähnliches schaffen. Die funktionieren für das Maschinen-Lernen prima als nötigen Sicherheits-Speicher und Parallel-Rechner. – „Warning! Keep away! Robot moves without warning!“

Macht doch was!


Wie Machtinteressen unsere Zukunft bestimmen

Ich bin in einer Kleinfamilie aufgewachsen, in der die Machtfrage geklärt war. Papa verdiente das Geld, war politisch tätig. Er war intelligent und war extrem gut darin, die Welt mit viel Wissen und Toleranz zu erklären. (Das habe ich von ihm geerbt. – – – Das mit dem Erklären, meine ich…) Aber er war total unpraktisch – und an Macht offensichtlich wenig interessiert.

BonnEntsprechend hatte bei uns zuhause Mama das Sagen. In Sachen Finanzen und Organisation allemal. Zu Auseinandersetzungen kam es eher selten. Meine Mutter war klug genug – und liebte ihren um 17 Jahre älteren Mann genug, um ihn nach außen immer gut aussehen zu lassen. Bella Figura war wichtig. Nicht nur, weil meine Eltern schwer italophil waren, sondern auch katholisch. Und da war es bei aller Sündvermeidung doch auch sehr wichtig, das auch nach außen zu zeigen. Bis hin zum Pharisäertum.

Kein Weg nach Bonn

Nur einmal in dem von mir beobachteten Leben stellte mein Vater die Machtfrage. Er war gefragt worden, ob er nicht auf der Liste der CSU (sic!) für die Bundestagswahl kandidieren wolle. Auf einem Listenplatz ganz weit unten. Aber bei den Wahlergebnissen der CSU in den 60er-Jahren befürchtete meine Mutter das Schlimmste: nämlich einen Bundestagsabgeordneten im Haus – oder schlimmer: in Bonn.

Da ging es eine Zeit lang bei uns zuhause hoch her. Irgendwann drohte meine Mutter sogar mit Scheidung. Eine für Katholiken wirklich ultimative (und eigentlich unmögliche) Drohung. Irgendwie hatte Bonn wohl damals keinen besonders guten Ruf. Bald nach dieser Drohung versandeten jedenfalls die politischen Ambitionen meines Vaters.

Da mein Vater früh starb, blieb ich das einzige und zentrale Opfer der Machtselbstverständlichkeit meiner Mutter (die sie von ihrer dominanten Mutter geerbt haben musste). Entsprechend hoch, konfliktgeladen und leider auch sehr lieblos ging es dann für mehrere Jahre zwischen uns her, als ich mit 17, 18, 19 aufbegehrte. (Das geschah einst später als heute. Volljährig war man ja auch erst mit 21.)

Die Machtfrage haben wir zwischen uns nie klären können. Ein schwerer Schlaganfall machte diese Frage schließlich irrelevant. Dann war nicht mehr Konflikt angesagt, sondern möglichst liebevolle Pflege.

Hierarchien müssen gepflegt werden

Entsprechend wenig machtbegabt bin ich gewesen. Das hat mich im Beruf so manche Karrierechance gekostet, dafür habe ich aber meist in gutem Arbeitsklima arbeiten können. Kooperation und Respekt bringen halt mehr zustande als Aggression und Hahnenkämpfe. Aber das sieht halt nicht jeder so. Als wir kurz vor dem Start von Europe Online jeder 12 bis 14 Stunden arbeiteten und unsere Büros bis in die tiefe Nacht hell erleuchtet blieben, bekam ich von höchster Stelle den dringenden Hinweis: „Sie müssen Ihre Leute härter anpacken.“

Ich verstand diesen Wink damals einfach nicht. Aber in einem Machtsystem, das auf formellen Hierarchien aufgebaut ist, darf keiner aus der Reihe tanzen. – Genau das ist bis heute das Problem der etablierten Medienhäuser – egal wie modern und digital sie sich geben. Sie meinen, ihre hierarchischen Methoden und ihre Machtpositionen nicht aufgeben zu dürfen. Wahrscheinlich können Sie es auch nicht. Vor allem aber wollen sie es nicht. Es ist viel von einem Menschen verlangt, der sich in solch einem System mühsam nach oben gekämpft hat, oben angelangt dann freiwillig auf alle Privilegien verzichten zu sollen.

Jede Veränderung ist ein Risiko

Und Machtmenschen wollen ihre Macht auch gar nicht abgeben. Dazu ist sie wohl zu schön. (Habe ich mir sagen lassen.) Die Kleingeister unter den Mächtigen klammern sich an die Macht und ihre Privilegien – irgendwie wollen sie es unbeschadet bis in die Verrentung schaffen. Dass sie ein System dabei offenen Auges gegen die Wand fahren, ist ihnen egal. Hauptsache sie springen vor der Klippe vom in den Abgrund rasenden Wagen noch rechtzeitig ab. Was nach ihrem Abgang passiert, interessiert sie nicht. James Dean lässt grüßen.

Diejenigen aber, die wirklich mächtig sind, nutzen ihre Macht skrupellos, vorrangig dazu, um ihre Macht für sich und Ihresgleichen zu erhalten und zu zementieren. Das heißt für sie, möglichst viel Veränderung und Innovation zu fordern und zugleich dafür zu sorgen, dass möglichst wenig davon Realität wird. Denn jede Veränderung, jede Innovation, jeder Evolutionssprung ist für sie eine reelle Bedrohung. Denn danach könnten die Karten (der Macht) ja neu gemischt und man selbst nicht unter den Gewinnern sein.

Die Gefahr der digitalen Macht-Erosion

Wer sich heute wundert, was in unserer Welt gerade los ist, ob in Russland, in China, in den USA oder hierzulande. Wer sich über die skrupellose Ignoranz beim Thema NSA, Überwachung und Bürgerrechte wundert. Wer sich fragt, wie plötzlich in Ost wie West die alten Militarisierungsreflexe wieder ausbrechen können. Wer sich fragt, was denn auf einmal mit der Freiheit und Mitsprache versprechenden digitalen Welt passiert. Sie alle haben nicht verstanden, dass gerade mit allen, wirklich allen Mitteln versucht wird, das überkommene Machtverhältnis zu erhalten bzw. wieder herzustellen.

Die politische Klasse hat inzwischen überall in der Welt realisiert, wie sehr neue basisdemokratische und partizipatorische Optionen, die das Internet samt Social Media bietet, ihre Macht zu erodieren drohen. Daher sind die Herren Politiker nur allzu sehr bereit, dem wahren Mächtigen, der auch um seine Macht Sorge hat, brav zu Diensten zu sein: dem großen Geld. Den großen Besitzenden der Welt sind die Newcomer einer neuen Weltordnung längst ein Dorn im Auge: Google, Facebook & Co.

Freiräume werden kleiner – und virtuell

Daher die Angriffe auf diese Newcomer im Bund der Mächtigen. Das sind Drohungen, die dafür sorgen sollen, dass sie im Orchester der Macht brav mitzuspielen beginnen – und nicht auf die Idee kommen, die Macht nach unten verteilen zu wollen. Fast hat man den Eindruck, dass diese Drohungen in Richtung der Newcomer schon gefruchtet haben.

Wie gesagt, ich habe von Macht nur beschränkt Ahnung. Aber wenn man am eigenen Leib spürt, wie Freiräume kleiner werden und eher nur noch virtuell sind, wenn man realisiert, wie Freiheiten beschnitten werden, dann kann das nicht von ungefähr kommen. „Cui bono“ habe ich einst im Lateinunterricht gelernt: Wer hat davon einen Vorteil? Und es ist ziemlich klar, dass das nicht wir kleinen Allerwelts-User des Internets sind. – Wie gesagt: Wenn ich etwas von meinem Vater gelernt habe, dann das Talent, die Welt zu erklären. Jetzt müsste ich nur noch lernen, Macht gegen die Mächtigen zu organisieren…

Unter Generalverdacht


Schlapphüte, die Herrscher der Welt

Es wird Zeit für ein Geständnis. Ich bin vorbestraft. Zweimal sogar. Einmal wegen unberechtigtem Tragen von Dienstuniformen. Das war, als ich Anfang der 80er-Jahre mit Fidelis Mager zusammen für die Münchner Stadtzeitung als vermeintlicher Schwarzer Sheriff durch die Münchner Innenstadt patrouillierte. (Die Geschichte ist hier im Blog ausführlich dokumentiert.) Und dann wurde ich damals noch einmal für eine investigative Recherche wegen „Urkundenfälschung“ verurteilt. Ich hatte Visitenkarten für eine fiktive Firma, in deren Namen ich recherchierte, drucken lassen.

Feind hört mitDie Geldstrafen von damals sind längst vergessen und verdrängt – und wohl auch aus meinen Polizeiakten gelöscht. Das weiß ich, seit ich vor ein paar Jahren bei einer Zeugenbefragung nach Vorstrafen gefragt wurde. Ich antwortete in voller Unschuldsvermutung mit einem spontanen „Nein“. Der Beamte gegenüber sah mich daraufhin mit leicht sorgenvoller Miene an und machte erst mal eine beredsame Pause. Dann bedauerte er: „Meine Informationen hier auf dem Bildschirm sagen da was anderes.“ Fakt war, es waren keine Vorstrafen (mehr) registriert, dafür gab es einen Vermerk, dass Vorstrafen gelöscht waren.

Wir sind alle Verbrecher – irgendwie

Was für Vorstrafen und für welche Vergehen – das war nicht vermerkt. Der Beamte mir gegenüber konnte also, sofern er ein wenig phantasiebegabt war, alles Mögliche vermuten, was ich „verbrochen“ haben könnte. Eine besonders perfide Schuldvermutung, die um so schlimmer war, da sie unspezifisch war und nicht verifiziert werden konnte. Sie war ja gelöscht.

Das aber genau ist die Situation, in der wir uns alle inzwischen befinden, seit wir wissen, dass die amerikanische Sicherheitsbehörde NSA uns überall und jederzeit ausspioniert. Ganz einfach, weil wir ja Böses gegen Amerika im Schilde führen könnten – irgendwie. Und weil es am allerverdächtigsten ist, wenn wir uns gegen diese Schnüffelei wehren. Wenn wir unsere Emails und Daten verschlüsseln, soll jetzt mit Hypercomputern, d. h. mithilfe gigantischer Rechnerleistung jede Verschlüsselungssoftware wirkungslos werden. Ganz einfach, weil jeder von uns ja Terrorist sein könnte – oder es jederzeit werden könnte. Etwa weil er wie ein Verbrecher behandelt wird…

Das Erbe des 11. September 2001

Mal angenommen, die Anschläge des 11. September 2001 hätten nicht stattgefunden. Dann wäre den USA und speziell New York ein Trauma kaum vorstellbaren Ausmaßes erspart geblieben. Fragt sich, ob es dann die Auswüchse eines Department of Home Security, eines U.S. Cyber Command und der NSA, die wir heute konstatieren müssen, nicht gegeben hätte. Ich denke, kaum. Es wären die Gelder vielleicht etwas spärlicher in diese Richtung geflossen. Aber der Großmachtanspruch der USA, noch dazu in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, hätte wohl schon allein gereicht, einen ähnlichen Weg zu beschreiten.

Die Legitimation zu solch weltweiter Schnüffelei wäre den USA vielleicht etwas schwerer gefallen. Aber genug Terrorgefahr wäre auch so argumentierbar gewesen, und genug Schurkenstaaten hätte es sowieso gegeben, gegen die man sich wehren muss. Und das wären nicht nur Nordkorea, der Iran oder Pakistan gewesen, sondern auch China und Russland etc. – Vielleicht wären die Abhöraktionen gegen Angela Merkel und andere brave europäische Politiker und Institutionen etwas schwerer gefallen. Aber sei’s drum…

Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?

Es ist dann aber doch ein veritabler Treppenwitz der Geschichte, dass ausgerechnet der erste farbige Präsident der USA als gnadenloser Schnüffler, Kontrollfetischist und Demokratiesaboteur in die Geschichte eingehen wird. Ausgerechnet ein Präsident, der als besonders cool und liberal galt und ein Hoffnungsträger für einen neuen Politikstil war. Er wird nun der Referenzpunkt sein, an dem wir endgültig von einem Demokratieverständnis Abschied nehmen mussten, das die Bürger als Souverän definierte, Politiker als Volksbeauftragte auf Zeit und Geheimdienste bestenfalls als notwendiges Übel.

Es ist wirklich erstaunlich, wie geschickt es die Geheimdienste angestellt haben, ihr Schlapphut-Image abzulegen. Sie galten doch lange Zeit als eine Art schrulliges Relikt aus den Zeiten des kalten Krieges. John Le Carre lässt grüßen. Heute sind unter der Führung schneidiger Generäle findige Hacker und ihre Zuarbeiter aus Privatfirmen (siehe Edward Snowden) zu einer unkontrollierbaren globalen Macht geworden. Die Erdball umfassende Datenschnüffelei von NSA & Co. hat dem Gefahrenpotential der Globalisierung eine völlig neue Dimension eröffnet. Und auch die Kollegen in China, Russland, Großbritannien, Israel, im Iran und anderswo sind fleißig an der Arbeit…

Willkommen in der Postdemokratie

Der britische Soziologe Colin Crouch hat 2004 in seinem gleichnamigen Buch den Begriff der Postdemokratie geprägt. Er beschreibt darin ein Politiksystem, in dem die politischen Rituale wie Wahlen etc. zu Events verkommen, die zwar Regierungen stürzen, aber nichts am Politikbetrieb selbst ändern können. Der wird von der Wirtschaft und den Politbürokraten kontinuierlich und zu ihrem Vorteil am Laufen gehalten. Die Figuren der Politik wechseln, aber nicht die Politik und ihre – wirtschaftshörigen – Automatismen. Bestes Beispiel: Barack Obama.

Die eher wirtschaftsorientierte Definition der Postdemokratie von Colin Crouch muss jetzt noch um die Kaste der Geheimdienste erweitert werden. Nicht nur die Wirtschaft als von keinen demokratischen Prozessen kontrollierte politikbestimmende Macht existiert heute, sondern eben auch die Geheimdienste, heute ein kruder Mix aus Militär, Wirtschaft, Bürokraten und Hackern, entziehen sich jeder demokratischen Kontrolle – und Legitimation. Dafür aber stellen sie den offiziellen Souverän einer Demokratie, jeden einzelnen Bürger, unter Generalverdacht. Er wird ausgeforscht wie jeder gemeine Kriminelle und/oder potentielle Terrorist.

Parademokratie – eine deutsche Tradition

Die Idee, jeden Bürger als potentiellen Untäter und subversives Element zu sehen und daher auszuforschen hat in Deutschland eine unselige Tradition. Schon zweimal haben wir das im letzten Jahrhundert erlebt. Zunächst unter den Nazis und deren Gestapo und dann noch einmal in der DDR mit der Stasi. Beides undemokratische bzw. faschistische Systeme. Entsprechend entschlossen sollten wir hierzulande dagegen agieren, wenn nun ein drittes Mal der demokratische Souverän unter Generalverdacht gestellt wird. Aber davon ist die Großkoalition Merkel meilenweit entfernt.

Wir dürfen uns also hierzulande auf eine spezielle Sonderform der Postdemokratie einstellen. Nennen wir sie Parademokratie. Ein kruder Mix aus:

  • leeren demokratischen Ritualen
  • politisch hysterisierten Medien, die sich gerne als politische Akteure missverstehen (siehe Causa Wulff, BILD als neue APO…)
  • immer neuen Enthüllungen aus den unendlichen (Pseudo-)Wissensarsenalen von Geheimdiensten sämtlicher Couleur (gerne auch taktisch gestreut)
  • einem schulterzuckendem Demokratie-Wurstigkeitsgebahren frustierter Bürger
  • einer sublimen wie konsequenten Wohlverhaltens-Feigheit, wie sie überwachten Systemen stets immanent ist
  • einer systemübergreifenden inneren Lähmung, individuell, systemisch, politisch wie intellektuell

Bleierne Zeit, Mehltau – all diese Begriffe sind zu niedlich, um solch eine Welt der Parademokratie zu beschreiben… – Aber man kann sich dagegen ja wehren. Im Fall der Fälle auch außerparlamentarisch – und natürlich ohne Kai Diekmanns APO.

Der Utopie-Test


Wie sähe der perfekte Datenschutz in einer idealen Welt aus?

Die Reaktionen auf die Enthüllungen der umfassenden Bespitzelung der (unserer) Welt durch die amerikanische NSA (National Security Agency) sind mehr als zurückhaltend. Die große Mehrheit der nicht-digitalen Deutschen versteht die Aufregung nicht oder fühlt sich in ihrer Ignoranz gegenüber der digitalen Welt nur bestätigt. Konservative bis rechts-bürgerliche Kreise und alle sicherheits-paranoiden Menschen finden so eine Bespitzelung gegen Terroristen, Attentäter und Kriminelle sowieso gut. Für die kann man gar nicht genug schnüffeln – FAZ.net sieht hier sogar einen modernen Gottersatz im Entstehen.

Sandburgenterrorismus: Gibst du mir nicht deine Förmchen, mache ich deine Burg kaputt...
Sandburgenterrorismus: Gibst du mir nicht deine Förmchen, mache ich deine Burg kaputt…

Und die Linke: Die fühlt sich in ihren schlimmsten Befürchtungen – endlich einmal – bestätigt und nimmt die Tatsache mehrheitlich mit einem erleichterten Schulterzucken zur Kenntnis. Man hat es sowieso immer schon gewusst. Und die Bösen sind praktischerweise die Amerikaner. Was will man mehr. – Bleiben als Opposition wenige Internet-Aktive, Links-Liberale und eine kleine Minderheit von um Freiheit und Demokratie bangenden Menschen. Die etablierte Politik ist vorrangig mit Wahlkampf beschäftigt und viel zu weit von der Thematik entfernt („Neuland“!) und hält mangels echter Handlungs-Alternativen erst mal die Füße still. Ganz still.

Eine Demokratie-Utopie

Aber denken wir uns versuchsweise einmal kurz in eine ideale Welt, wagen wir eine Demokratie-Utopie. In ihr sind alle vernünftigen Demokraten und denkenden Menschen entsetzt über die Spitzelpraxis der USA und es entsteht eine echte Protestbewegung – nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa (wahrscheinlich ohne Großbritannien), in Südamerika, Kanada etc. Vielleicht sogar in Teilen Asiens und des Mittleren Osten. Gerne jeweils auch unterstützt aus Eigeninteresse von der Wirtschaft, die sich nicht so mir-nichts-dir-nichts ausspionieren lassen will bzw. überflüssigerweise ihre Daten teuer und Abläufe komplizierend sichern müssen.

Würde so etwas passieren, müsste – und würde – die Politik reagieren. Und einmal angenommen, es würden nicht nur ohnmächtige Kommissionen gegründet und zahnlose Resolutionen verabschiedet, sondern man wollte wirklich effektiv handeln, was wäre dann zu tun? Welche Optionen hätte dann die freie, kritische, nicht-amerikanische Welt? Richtig: Mit Obama ein ernstes Wort reden. Guter Scherz. Denn was soll der tun? Seine Pauschal-Rechte an die NSA zurücknehmen? Die Geheim-Gerichte an die Kandare nehmen, die die amerikanischen Internet-Giganten nach Gutdünken gängeln und über deren Agieren keiner reden oder gar schreiben darf.

Catch 22 der Geheimdienste

Wie soll das aber gehen? Es ist doch kein Zufall, wie Obama vom liberalen Politiker zum Ordnungs-Fanatiker und willigen Geheimdienst-Förderer mutiert ist. Verschwörungstheoretiker mögen dazu ihre eigene Version spinnen. Aber wie soll ein amerikanischer Präsident seinen Parteigenossen oder gar den Republikanern erklären, nicht alles Mögliche zu tun, um Terroranschläge zu vermeiden. Und je mehr die Geheimdienste bei ihren Prognosen versagen (siehe Boston), desto mehr finanzielle Ausstattung, desto mehr Zugriffsrechte werden sie bekommen. Das ist die perverse Logik eines Volkes, das in seiner kollektiven Psyche zutiefst ängstlich ist bis hin zur Paranoia. Eine echte Catch 22-Situation.

Und zugleich weiß Obama, dass der „Rüstungswettlauf“ in Sachen digitaler Kontrolle längst in vollem Gang ist. China und Russland, Frankreich und Großbritannien, Israel oder auch der Iran sind eifrige Mitbewerber und dazu Outcasts wie Syrien und allerlei kriminelle Organisationen. Dafür kennt der Aufwand der USA keine Grenzen. Die USA in ihrem Anspruch als Führungsmacht müsste da ganz vorneweg gehen. Daher die so großzügige Ausstattung der NSA, daher der Bau gigantischer Datenspeicher, die dafür ausgelegt sind, den weltweiten Datenverkehr über Jahre hinweg komplett abzuspeichern, daher die Aufweichung aller Datenschutzgesetze. Kurz: Ein amerikanischer Präsident kann – und will – gar nicht anders als wie jetzt geschehen.

Eine europäische Alternative

Jeder Versuch, Amerika von seinem bösen Tun abbringen zu wollen, ist also per se zum Scheitern verurteilt. Und wie sehr sich die großen Internet-Giganten Google, Facebook, Yahoo und Microsoft und all die US-amerikanischen Social Media Provider auch gegen staatliche Zugriffe wehren mögen, um für Kunden außerhalb der USA attraktiv zu bleiben, sie haben keine Chance. In einer idealen Welt, in der etwa Europa nicht das Internet (immerhin in Genf am CERN mit erfunden!) und die Wucht der digitalen Vernetzung verkannt hätte, wäre das die perfekte Gelegenheit, gleichwertige nicht-amerikanische Features (Mail, Kalender, Speicher etc.) und Social Media Services anzubieten und glaubhaft mehr Schutz gegen systematisches Ausspionieren anzubieten.

Internet-Features bieten etwa „1& 1“ oder die Deutsche Telekom an. Doch in welcher Qualität? Trotzdem scheinen sie mehr Zulauf zu erleben. Aber es gibt keinerlei Ansätze, eine ähnlich überzeugende Integration von Services (Suche, Maps, Produktivsoftware, Blogs etc.) wie bei Google oder Yahoo samt deren überzeugende Werbekraft zu entwickeln. Dafür gibt es auch kaum eine Chance. Das hat Microsoft mit seinen immer neu gescheiterten Bemühungen eindrucksvoll bewiesen. Stichwort: „Bing“.

Wo, bitte, ist der Weiße Ritter?

Zweiter Utopie-Ansatz: Und selbst wenn es möglich wäre, ein Google außerhalb der USA zu etablieren. Wo sollte das möglich sein? Technologisch, wirtschaftlich – und politisch. Wo sollten da die Server stehen, dass sie vor dem Zugriff der Amerikaner sicher wären? Da fällt jedes NATO-Mitglied aus, jedes Land der westlichen Allianz. Ja es müsste ein Land geben, das sich wirklich mit ernst gemeinten Datenschutzbemühungen (und entsprechender Gesetzgebung) profilieren möchte. Dabei wird man nicht einmal im sonst so korrekten Skandinavien fündig. Man erinnere sich nur an die schwedische Willfährigkeit gegenüber den USA im Fall Assange. Bleibt Island als Alternative. – Lächerlich, dafür ist es wirtschaftlich viel zu mickrig und angreifbar.

Und selbst wenn es unter den Staaten dieser Welt ein Äquivalent zu einem Weißen Ritter gäbe: einer, der es gut meint, der die Privatsphäre konsequent schützt, der technisch versiert genug ist, gegen die Spionageversuche aller anderen zu bestehen und wirtschaftlich stark genug ist, solch einen Weg durchzuhalten. Solch ein Staat wäre aus aller Welt unter Beschuss. Politisch und medial, weil er Terroristen und Verbrechern Schutz bietet. Technisch würden alle Konkurrenten, nicht nur die USA, alles daran setzen, ausgerechnet diese Schutzsphäre so schnell und so umfassend wie nur möglich zu knacken. Und politisch und wirtschaftlich wäre solch ein Land in kürzester Zeit völlig isoliert.

Koexistenz mit den Schnüfflern

Selbst in der erträumbarsten aller Welten scheint es also keinen gangbaren Ausweg aus dem Überwachungs-Dilemma zu geben. Das klingt schlimm pessimistisch. Aber bekanntlich sieht sich jeder Pessimist als Realist. Bliebe als private Alternative die Flucht in die Verschlüsselung aller Daten, die man versendet – und der Ausstieg aus allen Aktivitäten in Social Media. – Aber ist das die Alternative? Einige, natürlich deutsche Datenschützer empfehlen so etwas allen Ernstes. Die digitale Isolation von allen Menschen um einen herum. Der Abschied aus Facebook und allen seinen Freunden. Die Außerdienststellung der Smartphones samt ihrer intelligenten (weil vernetzten) Technologien? Die Versendung kryptischer, oft nicht ankommender, von kaum einem zu öffnender Emails?

Die Flucht in die Verschlüsselung aller Kommunikation kann nicht die Lösung sein. Das Argument, damit würde man es der NSA und allen verwandten Datenschnüfflern wenigstens schwerer machen, ist Sandkasten-Terrorismus: Wenn du mir nicht deine Förmchen gibst, mache ich deine Sandburg kaputt. Oh Gott, nein!

Unkaputtbare Solidarität als Sicherung

Die Wahrheit ist hart und unangenehm. Wir müssen mit der Schnüffelei leben – wir müssen unsere Gesellschaft und unsere Politik darauf einstellen. Vor allem aber müssen wir eine unkaputtbare Solidarität zueinander entwickeln – politisch, sozial und digital – so dass offensichtlicher Missbrauch nicht möglich ist – und sofort geahndet werden kann. So dass unsere Gesellschaft und unser demokratisches System leben und funktionieren.

Denn nur darin sind wir – absehbar – sicher. Schlimm wird es, wenn die Überwachungsmethoden und das daraus gewonnene – vermeintliche – Wissen in die Hände von (demokratisch) unkontrollierbaren Mächten gerät. Das kann sehr schnell passieren. Man sehe  nur nach Ungarn zu Herrn Orban. Oder es entstehen Mächte, in denen es dem Geheimdienst egal ist, welches Parlament und welcher Präsident unter ihnen regiert. (Ex-FBI-Chef Edgar Hoover lässt grüßen…) – Oder sind wir in den USA längst schon so weit? Fast mag es danach aussehen…

Edgar Hoover lässt grüßen...
Edgar Hoover lässt grüßen… – der schwarze Ritter

Freiheit in unfreien Zeiten


Wir sind alle verdächtig!

Die bislang beste Abrechnung mit Angela Merkel ist von Jakob Augstein im Spiegel geschrieben worden. Perfekt in der Analyse und Argumentation. Dem muss man kaum etwas hinzufügen. Aber reicht solch fundamentale Kritik, und wenn sie noch so gut und überzeugend formuliert ist, um weitere vier Jahre Angela Merkel als Kanzlerin samt ihrer inhaltlichen Orientierungslosigkeit zu verhindern? Hat solch eine Argumentation eine Chance, bei den Wählern anzukommen? Ich bezweifle es.

Auge_Gottes_971

Soll man sich also einfach in sein Schicksal der Komplettüberwachung ergeben? Schon bald wird es wirklich jeder schaffen, ins Verdachts-Umfeld von Terrorverdächtigen zu geraten. Die NSA checkt mittlerweile bis in die dritte „Generation“ von Freundeskreisen: der Freund eines Freundes eines Freundes eines Verdächtigen. Und sie weitet ihr Netz und ihr Verdachtsmomentum kontinuierlich aus. Inzwischen sind wir in dieser globalen Welt von jedem (jedem!) beliebig anderen Menschen in dieser Welt nur 4,74 Bekanntschaftkontakte entfernt. Und der Grad verringert sich – dank Social Media – kontinuierlich weiter.

Der liebe Gott sieht alles!

Spätestens wenn die NSA den vierten Freundschaftskontakt eines Verdächtigen zusätzlich in sein Überwachungsvisier nimmt, werden wir schon bald allesamt, alle 7,15 Milliarden plus Erdenbürger irgendwie verdächtig sein. Inklusive natürlich all derer, die uns bespitzeln und überwachen. Auch alle verdächtig! – Wie grandios absurd ist das!

Ich habe damit zunächst kein Problem, Verdächtiger zu sein und daher kontinuierlich überwacht zu sein. Das habe ich in meiner klassischen katholischen Erziehung perfekt gelernt und jahrelang aktiv praktiziert. Dank der Erbsünde war ich sowieso Sünder. Und so konnte ich mir stets und überall der Überwachung durch die heiligsten Instanzen sicher sein. „Der liebe Gott sieht alles!“, drohte meine Mutter immer – und eine lange Zeit lang durchaus mit Erfolg.

Kampf um Freiheit

Ich versuche mich daher daran zu erinnern, wie ich mich damals im kontinuierlichen Zustand der Überwachung von oben gefühlt habe. An das schlechte Gewissen, wenn man nur daran gedacht hat, etwas zu tun, was nicht gewollt oder nicht „erlaubt“ war. Natürlich habe ich es dann alles doch getan. Aber an das miese Gefühl, wenn ich etwa unliebsame Zeitschriften gekauft habe (z.B. „TWEN“ mit nackten Hamilton-Mädels) oder in Filme gegangen bin, in denen nackte Haut zu sehen war, erinnere ich mich noch sehr gut. Und das als „wohligen Schauer“, etwas Verbotenes zu tun, zu verklären, würde der Sache nicht gerecht.

Meine Erkenntnis aus dieser Erinnerung an eine göttliche Totalüberwachung ist so unangenehm wie banal: Egal wie nahtlos die Überwachung war und wie sehr sie real erlebbar war (erwischt werden, Beichte etc.), man hat doch, je älter man wurde, getan, was man wollte. Ganz einfach, weil man sich nach Freiheit sehnte. Einem Ideal von Freiheit, die man damals noch gar nicht rational erfassen konnte. Und die Transgressionen waren der einzig gangbare Weg dorthin – damals.

Die Paranoia der Datensammler

Wir werden unser Leben nicht wirklich wegen der Totalüberwachung durch die NSA und all die anderen Geheimdienste, ob Freund oder Feind, ändern. Wir werden uns weiter mit unseren Freunden in Facebook und Twitter und sonstwo vernetzen. Vielleicht gibt es auch schon bald, wenn Facebook nicht aufpasst, ein neues Netzwerk, das mehr Privatsphäre und Datensicherheit verspricht. Hauptsache, wir können uns ein wenig in Sicherheit wiegen, dass die Schnüffelei schwieriger wird.

Die Firmen werden noch paranoider versuchen, ihre Betriebsgeheimnisse zu bewahren. Die IT-Abteilungen werden weiter an Macht gewinnen, und alle Firmen, die (Daten-)Sicherheit und Abschottung verkaufen, werden gute Geschäfte machen. Das Marketing wird dagegen eine Art kommerzielle Datensammel-NSA werden. Alle Fachleute sind sich (relativ) einig, dass Marketing in Zukunft nur mit perfekter Analyse massenhaft gewonnener Daten (Stichwort: Big Data) funktionieren kann. So werden wir dann in Firmen eine kuriose Symbiose von exzessiven Datensammlern und paranoischen Datenbewahrern erleben. Das kann lustig werden.

Wer schließt die Büchse der Pandora?

Wer glaubt eigentlich, dass der Un-Geist der Totalüberwachung wieder in die Flasche wieder zurück gebracht werden kann aus der er entwichen ist? Wer glaubt, dass die Büchse der Pandora wieder zugedreht werden kann? Ein Geheimdienst, der dafür da ist, Daten zu sammeln –  je geheimer, je persönlicher und je aussagekräftiger, desto besser – muss in digitalen Zeiten aus seinem logischen Selbstverständnis heraus so handeln, wie es NSA & Co. jetzt tun. Und je mehr machbar ist, desto mehr müssen sie machen – und sammeln.

Würden sie es nicht tun, würden sie wahrscheinlich von denselben Medien, die sie jetzt kritisieren, an den Pranger gestellt werden: als Versager, Technik-Dilettanten, Digital-Idioten etc. Und die Dienste der verschiedenen Staaten und Systeme stehen dabei noch untereinander in einem unerbittlichen Wettkampf um die meisten Daten, die besten Algorithmen und die größte Computerintelligenz (Primzahlen etc.). Ein Wettkampf, der durch kein Daten-Kyoto-Protokoll je wirksam zu zügeln sein wird. Dazu ist er zu klandestin und unkontrollierbar. Und dann wären da noch die privaten Kombattanten: Cyber-Kriminelle, Daten-Mineure und Hacker-Egomanen, die den Wettbewerb weiter anheizen.

Spürbar Gegenwind produzieren

Wie will man solch manische Datensammler zügeln? Jeder gelungene Terroranschlag ist Wasser auf ihre Mühlen. Vor allem in Gesellschaften, wo jeder Terror-Tote medial so viel Aufmerksamkeit erregt und Urängste weckt. Jeder, der nicht zu unrecht verdächtigt wird, jeder in Frieden gelassene Unschuldige, jeder, der nicht überwacht wird, ist dagegen immer anonym und per se virtuell. Er wäre, gäbe es ihn, nicht nachweisbar. Er existiert in unserer Mediengesellschaft einfach nicht. Eine bittere Erkenntnis.

Wir müssen um unsere Datensouveränität kämpfen, keine Frage. Eine Kapitulation unserer Zivilgesellschaft vor der Zwanghaftigkeit der Überwachungsorgane darf nicht stattfinden. Sie müssen Gegenwind spüren. Vielleicht kann man so wenigstens im Dekokratie-Universum die Budgets der Geheimdienste etwas eindampfen. Die vielleicht einzige wirksame Methode, den Wahnsinn, wenn schon nicht zu stoppen, so wenigstens einzubremsen. Wir müssen zudem erzwingen, dass es Kontrolleure der Datenmacht  gibt, die Algorithmen überprüfen können und die sich eventuell um die Opfer der Datenpolizei kümmern können.

Eine neue Kultur der Freiheit

Aber wenn wir realistisch sind, dann müssen wir parallel dazu eine neue Kultur des Umgangs mit der Komplett- und Allzeit-Überwachung entwickeln. Wenn die Geheimdienste die Macht im Staat übernehmen und wenn sie die Kontrolle über uns, unsere Psyche, unsere Ängste – und unsere Freiheit übernehmen, dann ist das der Worst Case. Schlimmer als es George Orwell oder Franz Kafka sich in ihren schlimmsten Alpträumen ausgemalt haben. Schlimmer als es die Kirche zu ihren schlimmsten Zeiten exerziert hat.

Es ist unsere Freiheit, die wir verteidigen müssen, die wir uns nicht nehmen lassen dürfen. Und sei es, dass wir sie weiter leben, obwohl sie überwacht und bedroht ist. Und wir nutzen weiter Social Media. Schon um so besser aufeinander aufpassen zu können, dass keiner dabei unter die Räder kommt. – Das meine ich mit einer neuen Kultur, einer neuen Freiheitskultur in Zeiten der Komplett- und Totalüberwachung. Die Alternative wäre eine gesamtverdächtige Gesellschaft in Vorbeugehaft, ohne Chance auf Berufung und Haftverschonung. (Ist es ein Zufall, dass uns der Fall Gustl Mollath so nahe geht?)

Mutti hin, Mutti her


Wofür steht Angela Merkel?

Kommt man im Ausland auf Angela Merkel zu sprechen, reibt man sich oft danach die Augen. Egal ob in den USA, in Frankreich, England oder Italien erlebt man – wohlgemerkt jenseits des Pressepöbels, der sie gerne in Naziuniformen steckt – viel Hochachtung für unsere Kanzlerin. Eine Frau, eine Physikerin, eine Ostdeutsche gar führt eine der wichtigsten Wirtschaftsnationen in dieser Welt. Boah ejjh! Da können sie anderswo mit ihren Juristen, Berufspolitikern und Karrierehengsten nicht mithalten. Also eine Hochachtung mit einem leisen Hauch von Neid.

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Die Unterschrift von Angela Merkel. Was wohl Graphologen daraus schließen mögen?

Also hält man inne und lässt sich das alles mal auf der Zunge zergehen. Stimmt ja. Eine Frau hat es geschafft, all die Wulffs, Stoibers, Schäubles oder Kochs auflaufen oder ins Leere laufen zu lassen. Von den ehrenwerten bis windigen Herren der SPD mal ganz zu schweigen. Eine Frau! – Aber was haben die Frauen davon??? – Es ist dann doch nicht so ganz falsch, wenn Kabarettisten Angela Merkel längst salopp zur „Mutti“ abgestempelt haben. Sie hat sich jenseits aller Geschlechter-Rollenmuster in eine Art Transgender-Kümmer-Rolle zurückgezogen.

Respekt und Neid für Merkel

Wir haben eine Kanzlerin, die in Ostdeutschland aufgewachsen ist. Die den ganzen Wahnsinn des Kontrollstaates und der Planwirtschaft am eigenen Leib erlebt hat. Diese Vergangenheit ist dann auch einige nette Anekdoten wert, wie sie sich durch das System damals gemogelt hat. Und was hat Ostdeutschland davon? – Eher nichts. – Und was das Engagement für einen Staat angeht, der für informelle Selbstbestimmung und eine  starke Demokratie steht, da erlebt man gerade eine Wurstigkeit bei Angela Merkel, die nahezu gespenstisch ist.

Ja, und wir haben eine Kanzlerin, die promovierte Physikerin ist. Davon merkt man jenseits ihrer Fähigkeit, ihr missliebige politische Kräfte so auszutarieren, dass sie im Vakuum der Machtlosigkeit zerfallen, wenig. Weder stärkt sie den Wissenschafts-Standort Deutschland. Im Gegenteil, der scheint ihr ziemlich wurscht. Und für Bildung hat sie jenseits braver Sonntagsreden auch noch nie was getan. Geht sie nichts an, ist Ländersache. Und die Energiewende? Der Atomausstieg? Da hatte man mal kurz den Eindruck, einen Hauch von genuinem Interesse zu entdecken. Aber längst ist darüber wieder grauer Alltag eingekehrt.

Das Erschrecken vor der Alternativlosigkeit

Wofür, bitte steht dann Angela Merkel? Für wirtschaftliche Kompetenz sicher eher kaum. So käseweiß und sichtlich tief geschockt, wie sie an den Tagen nach dem Lehman-Debakel vor den Fernsehkameras ebenso brav wie krampfhaft versuchte, jeden Ansatz von Panik im Keim zu ersticken, durfte man annehmen, dass sie gerade einen Crash-Kurs (im Sinne des Wortes) in Sachen Finanzwelt (und seine tiefen Abgründe) durchmachte. Passend dazu ihr Mantra, das sie seitdem – sehr Physiker-untypisch – intoniert: ihre (Finanz-)Politik sei „alternativlos“.

Für Europa steht Angela Merkel auch nicht. Da scheint ihre Vergangenheit in der DDR-Diaspora besonders schwer durchzuschlagen. Man erlebt keinerlei Begeisterung für Europa, für seine Vielfalt, für seine kulturelle Kraft. Im Gegenteil, das scheint ihr eher zuwider, denn es macht ja nur Probleme. Und sie versteht, so scheint es, diese komischen Völkchen da unten im Süden auch nicht. Ihre notorischen Urlaube im Süden – ausgerechnet im kreuzspießigen Ischia – haben da leider keinerlei positive Effekte erzielt. Sie versteht die so andersartigen politischen, sozialen – und gar religösen – Kulturen, die dort noch herrschen, nicht. Sie versteht nicht Stolz und Lässigkeit und Lässlichkeit. Das ist nun aber auch wirklich der völlige Gegenentwurf zu einem mecklenburg-pommerschen Wesen.

Verzweiflung über die Konkurrenz

Was im Himmel treibt die Frau an? So vergnüglich ist ihr Leben als Kanzlerin nun wirklich nicht. Ist es Pflichterfüllung, Solidität? Ist es doch die Lust an Macht – gerne offiziell als Möglichkeit, politisch gestalten zu können, kaschiert. Oder ist es die schiere Verzweiflung darüber, dass wirklich jeder ihrer eitlen – männlichen – politischen Konkurrenten – ob in der eigenen Partei, beim Koalitionspartner oder bei roter oder grüner Opposition – so viel unbegabter, trottliger oder ich-verliebt ist, das sie nicht in einem Land leben will, dass von solchen Macht-Amateuren geführt wird.

Solch eine Verzweiflung ist gut nachzuvollziehen. Ist es ja die verbreitete Stimmungslage in der deutschen Bevölkerung. Lieber eine Mutti, die für nichts steht außer, dass man zu wissen vermeint, wofür sie steht, als jeder andere Kandidat. Trittin? Steinbrück? Gabriel? – Ja es geht immer noch ein bisschen schlimmer. Wie der Einäugige gut und gerne der König der Blinden sein mag, so scheint Angela Merkel in der deutschen Politik „alternativlos“. Und so etwas nennt sich dann Bundestagswahl.

Allergie gegen Mutti-Attitüde

Auf der anderen Seite, was kann es Angenehmeres und Bequemeres geben, gegen solche Gegner in solch einem Themenvakuum so genannten Wahlkampf zu machen. Da muss Angela Merkel nur sorgfältig darauf achten, dass bei allen politischen Themen, die vielleicht ein wenig Sprengkraft entwickeln könnten, die Zündschnur sorgfältig feucht gehalten wird. Das ist nicht schwer, dafür reichen ein fulminantes Schweigen und notorisch nach unten gezogene Mundwinkel. Und im übrigen kann sie sich darauf verlassen, dass die Gegner sich gegenseitig selbst Beine stellen.

Mein Problem ist, dass ich mich mit solch einem Zombie von politischer Wirklichkeit nicht abfinden will. Ich gebe zu, dass, bei aller Liebe zu meiner Mutter Ursula Konitzer selig, ich seit meiner Kindheit eine ausgeprägte Allergie gegen jede Art von „Mutti-tum“ habe. Ich liebte die lustige und aktive Uschi in meiner Mutter. Ich genoss ihre Liebe als Mutter. Ich bewundere sie bis heute für ihre Reiselust und ihren Mut (Italien, Spanien und Marokko in den 50er-Jahren!). Und ich liebte besonders meine weiche, altersweise Mutter. Aber was ich nie verputzen konnte, war die lange Zeit ihrer Mutti-Attitüde. Damit verbinde ich Assoziationen an Kontrolle, Macht um der Macht willen und Besserwisserei. Und das alles unter dem Deckmäntelchen des Kümmerns, der Religion – und der Sorge um Wohl und Zukunft des Sprösslings.

Sorge als Selbstzweck

In Wahrheit war diese Sorge eher Selbstzweck. Sorge, dass man nach außen nicht gut dasteht. Dass man seine „Hausaufgaben“ nicht gemacht hat. Dass der eigene Garten möglichst ordentlicher ist als der des Nachbarn. Sorge als uneingestandene Angst vor Versagen und als Reaktion auf eine große ideelle Leere. Was man auch tat, war falsch, da man sich nie entschieden hatte, was man richtig finden sollte. Es gab keine Haltung, nur Vorhaltungen. Es gab kein Ziel, nur jederzeit änderbare Absichten. Und natürlich gab es zu alledem keinerlei Alternative. Denn Muttis haben eine transrationale Legitimation. Und sie sind selbstreferentiell. Sie haben recht, weil sie es so sagen. Ihr Wertesystem ist das Maß aller Dinge. – Selbstzentriertheit als ganz besonders Spielart des Egoismus.

Ich gebe zu, ich habe sehr persönliche Gründe, nicht von einer Mutti als Kanzlerin regiert werden zu wollen. Aber ich habe schwer das Gefühl, dass es einer Menge Menschen in Deutschland genauso geht. Mutti hin oder Mutti her. – Und danke der Nachfrage: Nein, Onkel Peer und Vetter Sigmar sind zur Familienfeier im Herbst gar nicht erst eingeladen…