Das Ende des Individualismus


Propriozeption – der soziale Gleichgewichtssinn

Jetzt mal kurz innehalten, alle Ablenkung abschotten und sich ganz auf sich selbst konzentrieren. Wie steht es um einen in diesem Augenblick? Ist alles in Ordnung? Man sitzt, steht, liegt? Die Welt dreht sich unentwegt. Wir haben genug Sinne, um uns jederzeit in dieser Welt orientieren zu können, selbst bei völliger Dunkelheit. Unsere Wahrnehmungssensoren melden ob es laut ist oder leise, warm oder kalt, ob wir uns bewegen oder still stehen, sitzen oder liegen. Das melden uns feinste Härchen in unserem inneren Ohr. Wir wissen wenn ohne Panik – stets wo oben ist oder unten – das melden unsere Augen oder in der Dunkelheit die Lage des Speichels in unserem Mund.

Propriozeption (von lat. proprius – eigen und recipere – aufnehmen) nennt man unsere Fähigkeit der Eigenwahrnehmung und der stets, meist unbewussten Verortung von uns in der uns umgebenden Welt. Das brauchen wir dringend, vor allem unsere Psyche braucht diese Versicherung dringend. Wer nur eine Fähigkeiten zur Selbstwahrnehmung verliert, hat unausweichlich Probleme; funktionieren mehrere der dafür nötigen Sensorien nicht mehr, hat unsere Psyche ein ernsthaftes Problem.

Sozialer Gleichgewichtssinn

Nicht viel anders als im physisch-biologischen System geht es uns in unserem sozialen Umfeld. Auch hier müssen wir uns unentwegt unserer momentanen Lage versichern. Liegen wir richtig oder liegen wir falsch? Ist alles im Gleichgewicht? Liegen wir zurück oder eilen wir voraus? Ist es warm um uns oder eher kalt? Sind wir geliebt oder nicht? Geachtet? Akzeptiert? Jedem sozialen Wesen, das nicht zum sozialen Autisten verkümmert ist, ist eine funktionierende soziale Verortung wichtig.

Dieses Bedürfnis ist historisch gesehen vergleichsweise neu, es entstand erst mit der Ausprägung eines starken Individualismus in unseren Wohlstandsgesellschaften in diesem Jahrhundert – speziell nach dem 2. Weltkrieg. Früher war die soziale Verortung naturgegeben, der soziale Rang war durch Stand, Geschlecht, Religion, Geld und Abstammung vorgegeben. Nur mit äußerster Anstrengung war dem auszukommen – und dann war die Außenseiterstellung unausweichlich.

Auf der Suche nach dem Ich

Seit wir gesellschaftliche Klassen, Normen und Werte gesprengt und verdrängt haben, sind wir (vergleichsweise) frei in der Wahl unserer gesellschaftlichen Rollen und unserer Selbstdarstellung. Wir sind, wie der französische Soziologe Jean-Claude Kaufmann in seinem Buch „Die Erfindung des Ich“ so überzeugend darstellt, permanent auf der Suche nach neuem Input für die immer neue Ausgestaltung, immer aktuelle Kalibrierung unseres Ich.

Wir brauchen immer neue Anregungen, immer neue Ideen, immer neue Optionen zur persönlichen Ausdifferenzierung. Das ist der Wesensinhalt  unseres Daseins als Individualist, wir wollen unverwechselbar sein (werden), ein Solitär – aber kein Unikum. Denn zugleich wie wir die nötigen Anregungen für unsere Ausdifferenzierung aus Gesellschaft und Medien, von Peers und Role-Models brauchen, so dringend brauchen wir, wenn wir diese Anregungen annehmen und unser Ich damit neu justieren, die Rückmeldung dazu aus unserem Umfeld. Liegen wir so richtig? Beeindrucken wir unser Umfeld – oder sind wir zu weit oder in die falsche Richtung gegangen – und unser Umfeld geht da nicht mit und/oder findet das nicht gut?

Das Sozial-Barometer

Dieser Abstimmungsvorgang ist ein schwieriger Vorgang. Das lief bisher über komplexe informelle Kanäle, oft nonverbal. Ein staunender Blick, ein abschätziger Blick. Ein zustimmendes Brummen, ein Seufzen oder Missfallensgeräusch. Ein Flirt oder ein Abrücken – die gesamte Palette unausgesprochener Meinungsäußerungen kam da zur Anwendung. Zugleich wurde auch die große Bandbreite des sozialen Geräuschs dafür zu Rate gezogen: der verletzende Witz, die spitze Bemerkung, der Klatsch hinter dem Rücken, die abschätzige Geste – oder positiv: das Lob, das Kompliment, der freundliche Scherz, die Anerkennung – der Daumen nach oben.

Die Menschen um uns herum brauchen wir dringend als Projektionsfläche unserer Individualgestaltung. Nur mit ihnen kann eine stets individuelle persönliche Evolution funktionieren. Und nur durch die Reaktion des Umfelds und mithilfe ihres Feedbacks können wir erahnen, ob sich unsere Mühe der individuellen Ausdifferenzierung gelohnt hat – oder nicht. Nur mit der Affirmation des sozialen Umfelds funktioniert unser Spiel der Individualisierung.

Der Segen der Social Media

Bis noch vor kurzem war das Spiel der individuellen Ausdifferenzierung, der Beschaffung der dafür nötigen Anregungen, vor allem aber die Justierung der individuellen Fortentwicklung mittels der Reaktion des sozialen Umfelds ein Prozess, der immer mehr Schwierigkeiten bereitete. Speziell in einer Single-Gesellschaft waren die Beschaffung kompetenter Reaktionen und die Evaluierung der jeweiligen Zustimmung oder Ablehnung ein äußerst diffiziles Unterfangen. Da musste dringend Abhilfe geschaffen werden.

Und siehe da, es entstanden die Social Media. Die so explosive Verbreitung der Social Media-Plattformen, allen voran Facebook, ist nicht zuletzt auch damit zu begründen, dass sie die soziale Propriozeption so schnell, so einfach und so wirkungsvoll gemacht haben. Hier ist ein wirkungsvoller und individualisierender Markt von Anregungen direkt aus dem sozialen Umfeld oder seitens Vorbildern und Peers (Twitter!) entstanden. Vor allem aber fungieren Social Media vorbildlich als Projektionsfläche der individuellen Ausdifferenzierung – und als optimale Feedback-Plattform.

Social Convenience

Das funktioniert einerseits durch eine wirklich optimale Convenience: Anerkennung durch das Minimal-Signal des Drückens eines „Like“-Buttons auszudrücken – einfacher geht es wirklich nicht. Zum anderen ist der (scheinbar) paradoxe Mix aus Anonymität der virtuellen Sphäre des Internet und der scheinbaren Intimität eines ausgewiesenen „Freundeskreises“ das ideale Ambiente für soziale Affirmation oder auch nachjustierender Korrektur.

Die Anzeige von Likes, die Kommentare zu Bildern und Bemerkungen, die witzigen Kommentar-Kaskaden bei besonders gelungenen Meldungen in Social Media-Plattformen, das isteben nicht (nur) willkommene Seelen-Nahrung für die narzisstoide Gesellschaft von heute, sondern sie sind dringend benötigtes Futter für die Ausgestaltung der Abermillionen von Ichs in unserer Gesellschaft von Individualisten. Der Erfolg von Social Media-Plattformen wird sich nicht zuletzt auch immer daran bemessen, wie gut sie für die soziale Propriozeption funktionieren – oder eben nicht.

Das Ende des Individualismus

So sehr Social Media die Individualisierung unterstützen und einfacher machen, so werden sie schätzungsweise zugleich für das Ende des Individualismus sorgen. Was für ein Paradoxon! Wir werden, indem wir immer mehr von uns in Social Media preisgeben, immer transparenter in unserer Wesensart – selbst dann, wenn wir uns dort perfekt inszenieren. Die Datensammel-Monster von Google, Facebook, Twitter & Co. machen uns zu gläsernen Menschen, zu Menschen mit immer weniger Geheimnissen.

Der Individualismus aber, diese Idee zu einem Solitär zu werden, lebt von der Idee eines ganz persönlichen Geheimnisses. Das einzigartige Ich kann ich nur sein, wenn ich etwas (möglichst viel) habe, was andere nicht haben. Und das funktioniert nur so lange, wie es andere noch nicht für sich entdeckt haben. Haben es andere auch für sich entdeckt, ist man nicht mehr Solitär – und muss sich seine nächste, unverwechselbare Besonderheit erfinden oder erarbeiten. Das war ja das Wesen der steten individuellen Evolution.

Das Internet – und speziell Social Media – ist aber der denkbar ungeeignetste Ort, um ein Geheimnis zu hüten, eine solitäre Idee zu bewahren oder als Unikat „überleben“ zu können. So einfach es unser Geschäft der Individualisierung macht, so wird damit der Individualismus, wie wir ihn die letzten Jahrzehnte gelebt und geliebt haben, auch sein Ende finden. – Wir sind längst auf dem Weg in die Epoche des Post-Individualismus…

Action in der Echokammer


Jeder hat den Freundeskreis, den er verdient

Trends und Zeitgeist. Die Akzeptanz von neuen Ideen, neuen sozialen Ritualen , neuen Technologien ist immer auch ein Kampf um Begriffe. Mit griffigen, attraktiven Begriffen kann man neue Ideen wunderbar schmackhaft machen. Einer der besten Begriffe-Köche, der immer neue Termini aus dem Hut zauberte, war (und ist) Mathias Horx. Wieviele neue Trends hat er uns durch würzige Begriffe schmackhaft gemacht!

Nymphe Echo scheitert an Narcissus

Man kann mit perfide kreativer Wortwahl aber ebenso gut Neues sublim diskreditieren. Kein Problem. Auffällig in dem Zusammenhang ist die derzeitige Häufung des Begriffes „Echokammer“ – gerne auch in der angelsächsischen Version „Echo Chamber“. Damit werden nur allzu gerne die Social Media diskreditiert. Den Vorwurf, in den Social Media werde nur unter Seinesgleichen die eigene Meinung zementiert, formuliert im Blogbeitrag zum 15. Trendtag Thomas Huber (semanticon Unternehmensberatung): „Der explizit erklärte Zweck solcher Plattformen ist es, unter sich zu bleiben, die eigene Gruppe und ihre Überzeugung zu stärken und die eigene Sicht der Dinge nicht mehr zur Disposition zu stellen. Sie fungieren daher vor allem als Resonanzböden der jeweiligen Orientierung – der „Weltinnenraum des Kapitals“ zerfällt in unendlich viele kleine Echokammern. Man hört in dieser Abgeschiedenheit nur noch sich selbst, wie einst der bayerische Märchenkönig Ludwig II., der auf einem Floß im Königsee ganz versunken seinem eigenen Echo lauschte.“

Temperament gegen Teilzeit-Blockwarte

Huber sorgt sich angesichts der Fantalliarden von Echokammern um die Zukunft des kritischen Diskurses:  „Wie aber sollen künftig politische Diskurse in der bürgerlichen Öffentlichkeit organisiert werden, wenn einerseits die klassischen Medien mit Mut- und Fantasielosigkeit ihre Selbstzerstörung betreiben und zugleich andererseits der Trend zum social cocooning die politischen und sozialen Räume in wenige per RRS-Feed vernetzte Echokammern auf der eigenen Favoritenliste eingrenzt und eine (Re-) Flexion nicht mehr zulässt?“

Einwurf Eins: Jeder hat die Facebook-Gemeinde und den Twitter-Followermob, die er sich selbst gewählt hat. Härter formuliert: die er verdient. Wenn dann dort die Erfahrung gemacht wird, dass ein kritischer Dialog und jedwede Reflexion dort nicht funktionieren, dann sollte das zu denken geben. Ich würde an der Stelle diese Erfahrung erstens nicht verallgemeinern und dann – zweitens – schon gar nicht der Öffentlichkeit preis geben.

Natürlich finde ich es selten doof, wie schon erlebt, dass ein militanter Nichtraucher einen seiner Freunde aus Facebook verbannt, weil der raucht – und das auch in Zukunft auch weiter in Restaurants tun will. Aber wer hat mittlerweile immer noch nicht mitgekriegt, dass das Internet ganz wie das ganz normale Leben ist? Auch dort gibt es Teilzeit-Hausmeister, -Blockwarte, -Wichtigtuer und -Ideologen. Aber dagegen stehen so viel Witz, Engagement, Mut, Intelligenz, Temperament, Wärme und Liebe bis hin zur Euphorie, die das mehr als wettmachen.

Echo, die Schutzheilige der Re-Tweets

Einwurf Zwei: Die Echokammer als Beschreibung eines virtuellen Schmorens im eigenen Saft ist vom mythischen Bild her arg schief. Kurz zur Erinnerung: Die schöne Nymphe Echo scheitert tragisch in ihrem Versuch, den (selbstverliebten) Jüngling Narcissus zu bezirzen, weil ihr Hera die Sprache geraubt hat und ihr nur noch die Fähigkeit gelassen hat, die letzten Worte eines anderen zu wiederholen. Hera rächt sich damit an Echo, die ihr Geschichten erzählt hat, um so Heras Mann Zeus den Freiraum für amouröse Eskapaden zu geben. So gesehen ist die Nymphe Echo die Schutzheilige des intentionalen Storytellings – und aller Re-Tweeter.

Die Nymphe wird von Narzissus gar nicht wahrgenommen und verzweifelt darüber, zieht sich in eine Höhle zurück (Echokammer!) und verzehrt sich, bis sie nur noch Stimme ist. Gerade Narzissmus, der doch angeblich in Social Media so exzessiv gepflegt wird, nimmt das Echo gar nicht wahr…

Resonanzkörper voller Leben

Einwurf drei: Echokammer ist eigentlich ein Begriff aus der Tontechnik. Seit den 30er-Jahren, seit der Erfindung der Tonaufnahme, gibt es sie, um Musik mehr Volumen, mehr Hall und mal mehr Leben, mal mehr Melancholie zu geben. Die vielleicht berühmteste Echokammer gab es in den Abbey Studios, die später durch die Plattenaufnahmen der Beatles berühmt geworden sind. Die berühmteste Echokammer Deutschlands waren die riesigen Hallen der Hansa-Tonstudios. David Bowies Stimme in „Heroes“ etwa hat durch sie seine besondere Sounddramatik erhalten. Manchmal waren die Echokammern aber auch viel kleiner und profaner. Die Doors etwa nutzten ihr Klo als Echokammer.

So gesehen dreht es einem bei Thomas Hubers Bild von König Ludwig auf seinem Floß die Fußnägel auf. Er genau war nicht in einer Echokammer. Diese eben waren eher Resonanzböden, um Musik besondere Dimensionen zu geben und genau nicht, um Leere und Nichtigkeit zu erzeugen. Auch dann nicht, als Echokammern seit den 50er-Jahren elektronische Geräte waren (zunächst Tonbänder mit Endlos-Loop) und dann digitale Schaltkreise…

Social Media sind künftig die Medien

Einwand Vier: Ich stimme voll mit Rob Key überein, der in einem Artikel in iMEDIA forderte: We have to kill „Social Media“! Halt, keine Angst, Key ist nicht das US-Pendant zu Thomas Huber. Im Gegenteil. Er findet, es ist höchste Zeit, aufzuhören von „Social Media“ zu reden. Der Begriff tut, als wäre es irgendwas Besonderes, dass Menschen wie selbstverständlich miteinander im Internet kommunizieren, ganz ohne Anleitung von oben, außen oder sonstwo her. Zitat Rob Key: „We are rapidly moving to a post-social media world, where all media is social, and brands and businesses recognize its power to influence the entire enterprise.“

Kommunikation ist immer sozial. Medien sollten immer Kommunikation sein. Social Media wird DAS Medium sein. Ganz einfach – ohne Echo und jenseits aller Kammern…

Zukunft der PR


PR-Awards: Das PR-Business feiert sich selbst

Berlin am Donnerstag. Im Maritim Hotel finden die PR Report Awards 2010 statt. Die PR Branche feiert sich selbst – und krönt etliche Preise für eine absurd vielfältige Kategorienliste – um dann doch einen Mix aus den üblichen Verdächtigen und dankbaren No-names und Nachwuchs-Initiativen, die keine echte Konkurrenz darstellen, mit Preisen zu versehen. So weit, so gut und eigentlich nicht weiter erwähnenswert. (Ja Markus Lanz als Moderator hat seine Sache gut gemacht, der ist wohl immer gut gelaunt, wenn ein Scheinwerfer an ist…)

Perry Rhodan

Was ein wenig wundert, ist die Tatsache, dass man als Normalkonsument von den meisten Kampagnen, die ausgezeichnet wurden, nichts mitbekommen hat, selbst als notorischer Mediennutzer. Das ist bei lokalen und regionalen Kampagnen verständlich, aber befremdend bei großen Agenturen und Kunden. Hat da die Konjunktur dann doch die Budgets so sehr geschmälert, dass sie nicht mehr wirklich in der Breite wirken konnten?

Was mich am meisten irritiert hat, war der gänzliche Mangel an Reflexion in der Branche. Keine Rede von geschmälerten Budgets durch die Finanzkrise, nur ein kleiner Seitenhieb auf die PR von Banken & Co.: für die Rubrik Finanzdienstleistungen wurden in diesem Jahr keine Preise verliehen. Offizieller Grund war die mangelnde Qualität der eingereichten Arbeiten.

Digital Naives

Digitalisierung, was ist das? Noch schlimmer aber, wie nonchalant über den Wandel zur Digitalität hinweg gegangen wurde. Immerhin wurde bisweilen erwähnt und gelobt, dass Social Media im Plattform-Mix integriert waren, etwa bei „Perry Rhodan twittert“. – Peinlich nur, dass Perry, der ewig und tausend Jahre lebende Weltall-Bummler, seine Twitter-Aktivitäten seit dem 15. März gänzlich eingestellt hat (und nur zur Veranstaltung noch einmal aus dem Koma für einen Tweet aufwachte). Und natürlich waren alle Tweets selbstreferentiell, ohne Links und Tags.

An diesem Kuriosum sieht man sehr gut, wie diese Branche noch nicht kapiert hat, was Social Media – und was Digitalität – bedeutet: Das Ende eines Kampagnen-Denkens, das Committment für eine Sache, das Ernstnehmen der Konsumenten, kurz das Ende der Manipulation und der Übergang zu einer Kooperation mit den Kunden.

Vielleicht auch daher keine Reflexion, in welche Richtung die PR in Zukunft gehen wird. Die Wahrheit ist möglicherweise auch ein wenig zu unangenehm, um in solcher zum Feiern zusammen gekommener Runde zu passen: Wie Werbeagenturen steht auch den PR-Agenturen ein umfassendes Revirement bevor. Das wird für viele schmerzhaft werden, weil Pfründe verloren gehen und Newcomer (oder auch kluge Profis), die etwas von Digitalität verstehen, Etats abziehen werden.

Die Kommunikation der Zukunft – jenseits aller Manipulation – wird die verschiedensten Disziplinen, die bisher sorgfältig darauf geachtet haben, sich voneinander abzugrenzen, in einem wilden Mischmasch zusammenführen: Werbung, PR, Unternehmenskommunikation, Social Media, Corporate Media, Sales, Marketing und Markenführung. Das alles wird sich miteinander abstimmen müssen, das alles muss Hand in Hand arbeiten und Synergien zueinander schaffen.

Das allzu menschliche Gegeneinander

Es wird nicht möglich sein, dass es noch ein Nebeneinander – oder wie in allzuviel Firmen üblich: ein Gegeneinander – in den verschiedenen Abteilungen gibt. Vor allem PR, Unternehmenskommunikation, Marketing, Sales und Social Media müssen in Zukunft extrem eng zusammenarbeiten, wollen sie noch in einem de-hierarchisierten Medienumfeld, in dem die Kunden so viel mehr Macht haben, funktionieren. Und nur wenn ihre Aktivitäten eng verzahnt sind und die Kommunikation miteinander optimal ist, können sie in etwa mit der Durchschlagskraft von Real Time-Medien und deren Hang zu spontanen (Medien-)Hysterien, impulsiven Boykott-Irrtümern und Trend-Kapriolen mithalten.

Die Wahrheit aber ist, dass diese Abteilungen in nicht allzu ferner Zukunft zusammengelegt werden müssen, will man als große Firma etwa wertvolle Marken am Leben erhalten und unlangweilige und innovative erfolgreich vermarkten. Der menschliche, allzu menschliche Hang zum Karriere-Egoismus wird wohl erfolgreich verhindern, dass Abteilungen wie PR, Werbung oder Unternehmenskommunikation, die ja schon immer attraktiv für große Egos waren, jemals wirklich gedeihlich und synergetisch zusammenarbeiten können.

Firmen ohne Marketing

Es ist ja der große Vorteil von neuen, jungen (digitalen!) Firmen, dass sie fast immer von vornherein auf solche Abteilungen verzichten konnten, und daher dieses Dilemma schlicht nicht kennen. Google, Facebook etc. geben kein Geld für Werbung aus. Marketing ist hier eher ein Synonym für Reichweite. Gerade mal PR – und die in engster Abstimmung mit Social Media – ist in solchen Firmen nötig.

Dieser Vorteil wird sich in Zukunft um so massiver auszahlen, wie „alte“ Firmen immer mehr in die Bredouille geraten, die Hahnenkämpfe ihrer verschiedenen Kommunikationsabteilungen in den Griff zu bekommen und die Botschaften aus einem Firmenumfeld halbwegs konsistent zu bekommen. Dann wird es nicht nur eine Social Media Governance geben, sondern genauso eine (interne) Marketing- und PR-Governance.

Interessante Zeiten für Werbung und PR. Nicht umsonst formuliert der alte chinesische Fluch für schlimmste Feinde und Gegner den hinterhältigen Wunsch: „Mögest du in interessanten Zeiten leben!“

Facebook auf Rezept


Social Networks machen glücklich und kreativ

Und einmal mehr gefährdet das Internet den Fortbestand des Abendlandes. Diesmal sind Facebook, Twitter und all die anderen Social Networks schuld. Schweizer Banken sperren für ihre Mitarbeiter Facebook, weil es von der Arbeit ablenkt und Phishing Attacken möglich macht. (Daten nach Deutschland?) Die italienische Post hat den Facebook-Konsum ihrer Mitarbeiter auf eine Stunde pro Arbeitstag rationiert, aufgeteilt in sechs Etappen à 10 Minuten.  In der Hälfte der US-amerikanischen Firmen sind Twitter und Facebook komplett tabu, weil angeblich arbeitseffektivitätshinderlich, 1,5 Prozent der wirtschaftlichen Produktivität der USA soll Facebook allein vernichten. In Großbritannien soll die Wirtschaft jährlich um 1,83 Milliarden £ durch Social Media geschädigt werden.

Tony Hsieh

Oh Herr, lass digitales Verständnis auf die Ungläubigen regnen! Oder vielleicht tun es auch folgende drei authentischen Exempel neuer digitaler Kultur:

A) Facebook & Co. schädigen die Wirtschaft nicht, sondern sie feuern sie an. Gerade durch die kurzen Social-Snacks, die sich die User an den Bürocomputern gönnen. WIRED weist in seiner aktuellen Ausgabe nach, wie wichtig solch kleine Pausen bei der Arbeit für das menschliche Gehirn sind. Der Mensch ist nicht dafür geschaffen, kontinuierlich wie am Fließband zu arbeiten, schon gar nicht bei kreativer Arbeit. Der menschliche Geist braucht Ablenkung, um ein Problem oder eine Arbeit immer wieder neu und/oder von einem anderen Blickwinkel anzugehen. Das weisen die Autoren des Buches „Creativity and the Mind“ (Perseus Books) nach.

Facebook macht glücklich

B) Besuche bei Facebook, Twitter und Konsorten sind dabei mental sehr ereignisreiche Erholungspausen. Der amerikanische Neurowissenschaftler Dr. Gary Small hat bei seinen Untersuchungen der Gehirnaktivitäten von Usern der Social Networks festgestellt, wie er im Interview mit der Süddeutschen Zeitung berichtet, dass bei Facebook-Newbies dieselbe Gehirnaktivität wie beim Lesen eines Buches festzustellen ist. Bei erfahrenen Nutzern aber war die sie mehr als doppelt so hoch. Hier explodiert das Gehirn nahezu. So gesehen dürfte die Arbeit nach solch einem Gehirntuning ja deutlich besser von der Hand gehen.

Außerdem sind Facebook-User glückliche Menschen. Dr. Small ängstigt sich, dass Facebook-User dopamin-abhängig werden, weil sie dank der Vernetzung mit ihren Freunden so viel des Glückshormons ausstoßen, dass es eine „nüchterne Verwendung solcher Dienste sehr schwierig macht“. (Wer will das auch schon.)

C) Das beeindruckendste Bekenntnis für Social Media und hier speziell für Twitter hat in einem ausführlichen Blogeintrag der CEO von Zappos, Tony Hsieh, formuliert, der seinen Online-Schuhhandel unter anderem mit seiner Social Media-Strategie extrem erfolgreich gemacht hat (und inzwischen teuer an Amazon verkauft hat). Unter der Headline „How Twitter Can Make You A Better (and Happier) Person“ führt er detailliert aus, wie ihn sein Blog und vor allem sein Twitteraccount glücklicher werden ließ und zu einem besseren Menschen gemacht hat. Eine überzeugend argumentierende Huldigung.

Twitter macht einen besseren Menschen

Vier wesentliche Benefits schildert er an schönen, oft witzigen Beispielen:
1. „Twitter macht mir immer wieder bewusst, wer ich und meine Firma sein wollen.“
Es lässt ihn bewusster Leben, so als sei permanent eine Kamera auf ihn gerichtet. Seitdem ist er freundlicher zu seinem Umfeld und offener und positiver in der Bewertung fremder Menschen.
2. „Twitter lässt mich den Alltag in witzigerer und positiverer Weise sehen.“
Hsieh kann inzwischen in nervigen Situationen die komischen Elemente entdecken und per Twitter als wahre Komödien inszenieren, etwa als er sich auf dem Balkon seines Hotels aussperrt und per Twitter Hilfe holt.
3. „Twitter lässt mich immer wieder darüber nachdenken, wie ich das Leben anderer besser machen kann.“
Statt narzisstischer Selbstbespiegelung will Hsieh in jedem seiner Tweets etwas Positives bewirken. Es machte ihn daher weniger Ich-bezogen und sensibler für die Probleme oder Anliegen anderer.
4. „Twitter lässt mich die kleinen Dinge im Leben bewusst wahrnehmen.“
Da Hsieh sich vorgenommen hatte, jeden Tag zu tweeten nahm er seine Umwelt viel aufmerksamer wahr und entdeckte so kuriose Szenen und Bilder, die er beschreibt oder fotografiert.

Merke: Facebook und Twitter machen glücklich – und noch dazu bessere Menschen aus uns. Nur falls mal der Chef Probleme macht, wenn man im Büro auf Facebook aktiv ist!

Burn on statt Burn out


Freizeit als kreativer Sprengsatz

Eine der häufigsten Defensivsätze nach meinen Vorträgen und Workshops über Social Media (Facebook, Twitter & Co.) geht meist ungefähr so: „Ich würde ja so gerne, aber ich weiß nicht woher ich die Zeit dafür nehmen soll.“ Diesen Satz gibt es in verschiedenen Klangfarben von wehleidig klagend bis forsch selbstbewusst nach dem Motto: Ich habe viel Wichtigeres zu tun. Erschreckend wie viele Menschen sich in eine selbst geplante Zwangsjacke aus verplanter Zeit flüchten. Der Status Quo des eigenen Terminkalenders verhindert wirksam jede auch noch so marginale Änderung des Lebensablaufes.

Ein grandioses Beispiel eines knallhart verplanten Lebens – hier ins Extrem überzogen – beschreibt Miriam Meckel in ihrem Versuch, ihr Burn Out-Erlebnis in Gedanken und Worte zu fassen: „Brief an mein Leben“. Der bezeichnendste Satz dort: „Im Alltag nach dem Sinn des Lebens zu fragen, ist in etwa so passend und mutig, wie im Schlafanzug zu einem Empfang des Bundespräsidenten zu gehen.“ Wer nach dem Sinn des Lebens nicht im Alltag fragt (wo denn sonst?), sollte vielleicht wirklich zu einem Empfang des Bundespräsidenten gehen, in welchem Aufzug auch immer.

Cognitive Surplus

Wie gefangen wir in unserem Umgang mit an sich frei verfügbarer Zeit sind, beschreibt eindrucksvoll Clay Shirky (Autor, Berater, Uni-Professor N.Y.) in seinem Vortrag auf der Web 2.0 EXPO mit dem Titel „Cognitive Surplus“ – vielleicht am besten übersetzbar mit „Geistiger Zugewinn“. Er erzählt hier zunächst die Geschichte, wie am Anfang der industriellen Revolution in England die der Landarbeit entwöhnten Arbeiter in ihrer Freizeit nichts Besseres zu tun hatten als sich mit Gin ins Koma zu saufen. Es gab damals aufgrund der riesigen Nachfrage überall fliegende Gin-Verkäufer in London.

Shirkys These: Die Arbeiter konnten mit der ungewohnten freien Zeit nicht umgehen und ergriffen die erst schlechteste Option: Gin. Als Gegenmittel zu den Alkoholexzessen entstanden dann allmählich in London die bis heute üblichen bürgerlichen Bildungs- und Zerstreuungs-Institutionen: Schulen, Bibliotheken, Museen, Theater, Politik. Merke: Freizeit und ein sinnvoller Umgang damit will erst kreativ erdacht und dann gelernt sein.

TV als Kreativitäts-Tod

Dasselbe Dilemma passierte laut Shirky nach dem Zweiten Weltkrieg ein weiteres Mal. Durch steigende Einkommen und sinkende Arbeitszeiten entstand ein neuer ungelöster Freizeit-Stau. Der wurde diesmal nicht (so sehr) mit Alkohol absorbiert, sondern diesmal mit TV-Konsum. Da auch zu dieser Zeit keine anderen Konzepte zur Vernichtung von Freizeit zur Verfügung standen,  kam der passive Medienkonsum samt ihn finanzierender Werbung gerade recht, um den Überfluss an freier Zeit zu kanalisieren.

Diesmal, nach 50 Jahren TV-Boom, sind es nun die Social Media, die eine sinnvolle Alternative zur passiven Freizeitvertrödelung bieten. Shirky errechnet, dass die Arbeit, die etwa bisher in Wikipedia geflossen ist, schätzungsweise 100 Millionen Stunden geistiger Arbeit gekostet haben. Eine Riesensumme auf den ersten Blick. Aber dem stehen 2 Milliarden Stunden TV-Konsum pro Jahr allein in den USA entgegen. So gesehen könnten mit dieser unproduktiven Zeit allein in den USA jährlich 2.000 Projekte von Wikipedia-Dimensionen geschaffen werden. Oder anders gerechnet. Die 100 Millionen Stunden, die Wikipedia bis heute „gekostet“ hat, werden allein jedes Wochenende in den USA mit dem Konsum von TV-Werbung verplempert.

Trillionen von Stunden Schaffenskraft

Diese Zahlen – so sehr sie im Einzelnen hinterfragt werden könnten – geben eine Dimension von möglichem Zugewinn an aktiver geistiger Beschäftigung („cognitive surplus“), die uns zur Verfügung stehen könnte. Kein Wunder, dass also der TV-Konsum sinkt, vor allem bei jungen Zielgruppen. Und wie wertig attention-mäßig ein im Hintergrund laufender TV-Apparat ist, während zur selben Zeit vor dem Bildschirm gebloggt, gepostet, gechattet oder das Social Network gepflegt wird, ist offensichtlich. (Inzwischen auch zunehmend der werbenden Industrie.)

Wenn man dieses Potential an brach liegender Zeit und Kreativkraft sieht und dazu die Möglichkeiten bedenkt, die das Internet und speziell Social Media uns heute zur Verfügung stellten, ist das Wissens-Wunder Expedia kein Wunder mehr. Das erklärt auch den Boom von Blogs, Chaträumen und Social Media, von Facebook, Twitter & Co. Und stellt man in Rechnung, dass die Generation der Digital Natives Interaktion als Selbstverständlichkeit leben, ahnt man die Probleme, die das TV-Business und die in Passivität investierende Werbeindustrie schon allzu bald bekommen werden. Und man bekommt einen Vorgeschmack, was mit den Billionen, ja Trillionen ungenutzter geistiger, kreativer, sozialer Schaffenskraft alles Schöne und Gute entstehen kann. Sinnvolle Arbeit, die wirksamer erholen kann als passiver TV-Konsum. – Burn On statt Burn Out!

Emotionen in Bits & Bytes 2


Gefühle in Social Media

Eine der schönsten Erfindungen in Facebook finde ich den „Like“-Button. Er ist so vielseitig nutzbar. Er kann alle Facetten von positiver Zustimmung ausdrücken. Von „Ich-habe-es-gelesen“ über „Jawoll!“ über „Ganz-meine-Meinung“ bis zu „Applaus-Applaus-Applaus“. Wäre Facebook eine Erfindung deutscher Medienmacher, wäre der „Like“-Button nie erfunden worden, sondern wohl eher ein „Finde-ich-doof“-Button. Dabei ist in komplexen, chaotischen Zeiten mit genug Kränkungen und Niederlagen im Alltag nichts wichtiger als solch schönes virtuelles Schulterklopfen.

Aus genau dem Grund finde ich die Facebook-Initiative, einen „Dislike“-Button einzuführen, völlig deplatziert. Abqualifikation ist so viel leichter als eine Affirmation. Speziell in Deutschland stellt man sich durch eine explizite Unterstützung einer Sache viel eher ins Abseits als durch eine knackige Abqualifizierung. Auffällig ist ja, wenn man die Nutzung deutscher User der Social Media ansieht, dass das aktive Posten von Inhalten im internationalen Vergleich eher unterentwickelt ist. Wo wir Deutschen gut im Social Net sind, das ist beim Kritisieren und Bewerten. Da sind wir im Vergleich weltführend.

Warum das so ist? Das mögen Psychologen herausfinden. Mir geht es, wenn es um Psychologie geht, um andere Dinge. Da bin ich Mihaly Csikszentmihalyi, dem populären Psychologen und Autoren von „Flow – The Psychology of Optimal Experience“, ewig für eine Neujustierung meines Denkens dankbar. (Anderen natürlich noch viel mehr!)

Ich hatte einst das Glück, als Chefredakteur von „Europe Online“ beim Publishers Dinner von Hubert Burda am Tisch gegenüber von Csikszentmihalyi platziert zu werden. Seine sympathisch brummelige Stimme erklärte mir seine Wandlung als Psychologe ganz einfach: „Irgendwann interessierte es mich nicht mehr, immer nur die schwierigen und gestörten Aspekte der menschlichen Psyche zu analysieren. Die menschliche Psyche hat doch so viele positive Aspekte. Irgendwann habe ich für mich beschlossen, mich nur noch diesen zu widmen.“ Diesem Paradigmenwechsel haben wir seine Bücher zum Glück und zur Kreativität zu verdanken.

Komplexe Gefühle per Mouseclick

Und genau darum sollte es auch bei erfolgreichen Social Media Networks gehen. Das ist das Feld gegenseitiger menschlicher Ermunterung, nicht der Ort, sich gegenseitig herunter zu ziehen. Daher meine Freude über den „Like“-Button. – Aber eigentlich ist das nicht genug.

Letzthin musste ich realisieren, dass einer meiner Freunde allzu oft seinen Heimatort – und seine Eltern besuchte. Da ging sichtlich ein Leben zu Ende, ein großer Abschied stand an. Eine Situation, in dem der „Like“-Button absolut fehl am Platz war. Aber allzu gerne wäre ich in dieser Situation mit einer kleinen Gest zur Seite gestanden. Ich weiß noch zu gut, wie hilfreich jedes noch so kleine Signal von  Unterstützung für mich war, als ich meine Mutter auf ihrem letzten Weg begleiten musste/durfte. Schön wäre ein „Ich-bin-bei-Dir“-, ein „Ich-denk-an-Dich“-Button. Oder wie sonst kann man so etwas ausdrücken? Die Standard-Tastatur unserer PCs versagt da mit geeigneten Symbolen. Und die eher kindischen Emoticons verbieten sich hier genauso. (Das einzige, was mir bislang dazu eingefallen wäre, ist: „[ ! ]“ im Kommentarfeld.)

Wie man kreativ die Statusmeldungen für andere als Ego-Zwecke „miss-„brauchen kann, zeigte die BH-Kampagne für Brustkrebsopfer. Nur war die Idee, lapidar die Farbe des aktuell getragenen BHs zu posten, dann doch etwas allzu intim und missverständlich. Ich freue mich auf alle Fälle auf alle kreativen Ideen, um in Statusmeldungen komplexere (positive!) Emotionen oder auch Solidar-Gesten geben zu können. Ob man kondolieren will oder trösten oder ermuntern. Oder man will Solidarität ausdrücken oder ein Charity-Projekt bewerben. Nicht immer trifft man da den richtigen Ton im SMS-Modus. Da gilt es, neue Ideen zu entwickeln, wie das mit kürzeren Signatur-Gesten möglich wäre.

Just press: Euphoric!

Mein größter Traum jedoch ist es, im Web auch immer wieder mal meiner Euphorie Ausdruck geben zu können, Euphorie mit anderen zu teilen – und mit ihr vielleicht auch andere anzustecken. Das kann mit begeisternden Texten, mit gelungenen kleinen Geschichten, mit einer persönlichen Botschaft per Video gelingen. Vielleicht aber auch ganz anders. – Wer den ersten funktionierenden Glücks- oder Euphorie-Server  im Internet gründet, der hat definitiv schon gewonnen. – Just press here: „Euphoric!“

Blogger, Plauderer & Beckmesser


Aktuelle Social Media-Zahlen von Forrester Research

Quelle: Forrester Research

 2008 erschien das erste seriöse, nicht mit der heißen Nadel erschienene Buch über Social Media. Es hieß „Groundswell“ (deutsch: „Dünung“), die Autoren waren Charlene Li und Josh Beroff von Forrester Research. Damals waren sie die Ersten, die ihre Analysen und Prognosen zu Social Media auf validen Zahlen und ersten Praxiserfahrungen (z.B. Dell) stützen konnten. Entsprechend gut und hilfreich war – und ist – dieses Buch.

Damals bekam man dort auch erstmals vernünftige Zahlen über die reale Nutzung von Social Media. Die beiden AutorInnen visualiserten die verschiedenen Nutzergruppen in Form einer Leiter, die in den USA damals unten mit den „Inactives“ (den Nicht-Nutzern – damals bei 50%) anfing und dann über „Spectators“ (die passiven Betrachter, 33%), die „Joiners“ (Netzwerknutzer, 19%), die „Collectors“ (Sammler von Tags & RSS Feeds etc., 15%) und die „Critics“ (Kommentarschreiber aka Beckmesser, 19%) bis nach oben zu den wirklich aktiven „Creators“ (Bloggern & Co., 13%) reichte.

Die Zahlen für Europa, respektive Deutschland waren etwas, aber letztlich unerheblich schlechter. (Auffallend nur, dass in Deutschland die Zahl der Critics, der Kommentarschreiber – und Meckerer – immer höher war als überall sonst in der Welt.)

Jetzt, gut zwei Jahre später, liefert Josh Bernoff in seinem Blog zu „Groundswell“ ein Update zu den Zahlen. Die Nutzungszahlen haben sich natürlich radikal nach oben verändert. Die Leiter ist länger und breiter geworden, sozusagen. Nur noch 17 Prozent der Internetnutzer verweigern sich den Social Media, 70% nutzen Social Media kontinuierlich, 59% gehören nun einem Netzwerk an, 37% schreiben Kommentare und 24% sind voll aktiv, z.B. in Blogs. Fast alle Zahlen der aktiven Nutzung haben sich also in etwa verdoppelt.

Neu in  der Aufzählung sind die so genannten „Conversationalists“, die Plauderer, also Menschen, die In Facebook, Twitter & Co. Microblogging betreben, also Kurznachrichten posten etc. Das tun nun immerhin schon 33% der Internetuser – und damit über die Hälfte derer, die in Sozialen Netzwerken angemeldet sind. (Über die Hälfte davon sind Frauen – 56%, 70% sind unter 30 Jahren.)

Die Lehren aus diese – validen! – Zahlen sind sehr einfach. Wer sich heute den Social Media verweigert, ist hoffnungslos hinterher. Nun kommt es nur darauf an, welche Aktivititäten in welchen Social Media für ein Produkt, eine Marke oder einen Anbieter die richtigen sind – und darüber gilt es kreativ und mutig zu entscheiden – und dann loszulegen und Erfahrungen zu sammeln.

Digitale Realsatire


Süddeutsche Zeitung: Kein Abschied von alten Denkmustern

Es geht doch nichts über gelebte Realsatire. Jüngstes Beispiel: die Süddeutsche Zeitung vom 15. Januar. Da stand ganz oben im Wirtschaftsteil doch tatsächlich mal ein ausführlicher Kommentar zum Digitalen Business. Eine Rarität so etwas in der SZ.

Der Inhalt: Den Werbeagenturen wird wortreich vorgeworfen, nicht (mehr) kreativ zu sein, vor allem nämlich den Trend zu den Social Media verschlafen zu haben. Zitat: „Allerorten wird getwittert, geskypt und gebloggt – doch bisher gab es kaum tragfähige Konzepte, wie Unternehmen diese neuen Kommunikationskanäle sinnvoll nutzen könnten.“

Was für eine Mühsal, ich musste dieses Zitat tatsächlich Wort für Wort von der Print-Ausgabe abtippen. (Ja ich habe noch ein Abo, aber eher aus Solidarität denn aus Bedarf.) Die Süddeutsche hat diesen Kommentar jedenfalls nicht online gestellt. (Deshalb leider kein Link.) Dabei geht es doch hier um genau dieses Business.

Und während man den Werbeagenturen vorwirft, „den wichtigsten kommunikativen Trend des 21. Jahrhunderts verschlafen zu haben.“, hat die Süddeutsche nicht verstanden, wie Kommunikation im 21. Jahrhundert funktioniert: Texte werden online gestellt, damit darüber kommuniziert werden kann, dass ein Diskurs über den Inhalt entstehen kann. Vor allem wenn schon das Online-Business selbst Thema ist.

Der Hohn ist angesichts dieser Ignoranz dann auch noch der Titel des Kommentars: „Kunst der Kommunikation – Viele Werbeagenturen müssen sich von alten Denkmustern lösen“. Da sind dann zwei (zu Recht!) kränkelnde Branchen in ihrer Unfähigkeit solidarisch vereint. Werbung und Print-Business.

Vielleicht schämte man sich aber auch bei der Süddeutschen ein wenig über den Kommentar. Denn er war voller Fehler und Unterstellungen. (Und noch mal geht’s ans Abtippen:) „Manche große Agentur hat nicht einen einzigen Social Media-Experten in ihren Reihen – geschweige denn ein Konzept, wie ihre Kunden diesen Bereich in ihre Kommunikationsstrategie integrieren können.“

Was habe ich eigentlich die letzten 18 Monate gemacht? Eigentlich nichts anderes, Beratung in Sachen Social Media. Einiges wurde auch umgesetzt. Vieles ist noch in der Pipeline. Und einige Firmen haben – zu Recht – einen Riesen-Respekt vor diesem Thema. Online und Social Media wollen gelernt sein. Ich komme auch gerne zur Süddeutschen und helfe da aus.

P.S.: Mein Leserbrief (Mail!) ist natürlich unbeantwortet geblieben…