Die Herausgeber


Der Herausgeber als Mut-Garant

Seit dem Tod von Frank Schirrmacher ist dank der vielen intensiven Nachrufe der Beruf des Herausgebers wieder in den Vordergrund gerückt. An diesem Beispiel wurde ein mal mehr deutlich, wie wichtig ein Herausgeber sein kann, wenn er seine Aufgabe ernst nimmt und das nötige Format dazu hat.

Ich bin ja selber Herausgeber – des Multimedia Annuals des Walhalla Verlags. Das ist ein echtes Vergnügen – und auch Arbeit. Themen für die Artikel im Buch wollen gefunden werden und Autoren dazu. Das Konzept will weiter entwickelt werden, Marketingideen müssen immer neu geboren werden. Die Jury gilt es auszuwählen – und dann die Jurysitzung vorzubereiten und zu leiten. Herausgeber eines Buches zu sein, braucht vielleicht ein paar gute Ideen, ein paar Verbindungen und ein inhaltliches Konzept. Das finanzielle Risiko aber trägt in diesem Fall der Verleger (publisher).

Arno Hess - Verleger der Münchner Stadtzeitung  Foto: Dorin Popa
Arno Hess – Verleger der Münchner Stadtzeitung
Foto: Dorin Popa

Dieser Beruf des Herausgebers (publisher!) scheint mir im digitalen Raum viel zu kurz zu kommen. Er ist es, der die Leitlinien eines Mediums bestimmt, der die inhaltliche Ausrichtung mitbestimmt – und vor allem auch finanziell und rechtlich vor dem Verlag bzw. Verleger vertritt. Er ist es, der einer Redaktion vorgibt, wie mutig sie sein darf – oder wie liebedienerisch sie sein muss. Er bestimmt, wie konfrontativ ein Medium sein darf – samt möglichen rechtlichen Auseinandersetzungen – oder wie weichgespült es sein muss. Er justiert die Nähe zu Anzeigenkunden oder definiert die wirtschaftliche Unabhängigkeit von Geldquellen.

Der renitente Verleger

Meine eigenen Erfahrungen mit Herausgebern sind begrenzt. Bei der Münchner Stadtzeitung hatte ich mich mit meinen Ideen und meinem Budget mit dem Verleger und Gründer Arno Hess auseinanderzusetzen. Er war, ohne sich je so explizit zu nennen, auch Herausgeber. Wurde es mal eng, sei es weil gegen Artikel geklagt wurde oder ein Anzeigenkunde sich nicht fair behandelt sah, kam bei Arno Hess immer ein sehr angenehmer Wesenszug zum Zug: Er war extrem freiheitsliebend, und jeder, der diese Freiheit einengen wollte, hatte bei ihm schlechte Karten. Sehr schlechte Karten.

Egal, was passierte, ich fühlte mich damals bei meiner Arbeit als verantwortlicher Redakteur immer unterstützt, immer sicher. Je schräger und besser die Ideen der Redaktion waren, desto mehr blühte Arno Hess in seiner Rolle als Herausgeber auf. Und wenn es galt, noch ein wenig Geld für schräge Ideen wie Brettspiele auf dem Titel, Rabattaktionen oder Aufkleber etc. zu akquirieren, schickte Verleger Arno Hess den Anzeigenaquisiteur Arno Hess auf die Straße und ans Telefon. Und wenn die Münchner Tagespresse solche Ideen dann per einstweiliger Verfügung zu stoppen versuchte, bereinigte Herausgeber Arno Hess die Situation klaglos – oft auch lautlos.

Rückhalt für Recherchen im Randbereich

Beim WIENER war die Situation brisanter. Viele Recherchen waren investigativ, und  da agierte man als Reporter oft in einem rechtlichen Graubereich. Bei vielen Geschichten wussten wir, dass rechtliche Auseinandersetzungen kommen könnten. Der einzige Schutz dagegen war der Erfolg der Geschichte – bei den Lesern und den Kollegen der anderen Presse. Wurdenwir dort zitiert, wagte kaum einer der Betroffenen, gegen die Geschichte zu klagen. Zu groß wäre das Medienecho gewesen – und zu negativ. (Und tatsächlich wurde ich für eine Geschichte, die nicht funktioniert hatte, verklagt und verurteilt. Wegen übler Nachrede und Gründung einer Scheinfirma, die als Homebase für eine investigative Geschichte dienen sollte.)

Beim WIENER habe ich exemplarisch erlebt, wie ein Herausgeber einem Chefredakteur den Rücken stärkt. In rechtlichen Auseinandersetzungen und in wirtschaftlichen Krisenzeiten. Das war zuerst Hans Schmidt als Geldgeber und Verleger des Deutschen WIENER, den er aus Verärgerung darüber gegründet hatte, dass der Jahreszeitenverlag, mit dem er den WIENER nach Deutschland bringen wollte, hinter seinem Rücken seinen Chefredakteur Markus Peichl und seinen Artdirektor Lo Breier abgeworben hatte und ohne ihn TEMPO als Zeitgeistmagazin in Deutschland lancierte hatte.

Provokation als Pflicht

Der Herausgeber war hier nie Bremser, sondern im Gegenteil Antreiber. Er ging alle denkbaren Risiken ein, rechtlich und wirtschaftlich. Aber auch als der WIENER vom Bauer Verlag gekauft wurde, wurde der Rückhalt für die Redaktion nicht geringer. Rechtlich war der Verlag durch die lange Tradition der „Quick“ in Rechtsstreitigkeiten erprobt. Man schien sogar geradezu Spaß daran zu haben, immer mal „wider den Stachel zu löcken“.

Solche Erfahrungen prägten mein Bild, wie ein Herausgeber zu sein hat – und was er einer Redaktion geben kann. Ich habe keinen Weltenerklärer wie Helmut Schmidt bei der „Zeit“ erlebt. Keinen Journalistenmythos wie Augstein beim Spiegel. Keinen intellektuellen Antreiber wie Frank Schirrmacher.  Ich habe nur Menschen erlebt, die mir und meinen Kollegen ermöglicht haben, die Grenzen des Journalismus auszuloten und Recherchen zu wagen, die auch mal Neuland betraten. Das gelang bisweilen sehr gut, manchmal sind wir übers Ziel hinausgeschossen und – ganz selten – provozierten wir eher aus Selbstzweck. Da war es gut, eine Instanz zu haben, die nicht ins Tagesgeschäft verwickelt war und von außerhalb des Redaktions-Bubbles Feedback gab.

Plattform ohne Sinn & Zweck

Fragt sich, wie heute im Zeichen völlig veränderter Produktionsprozesse in den Medien diese Funktion erfüllt wird. Eine Arianna Huffington tut das bei ihrem Onlineportal. Sie hat ihre Freunde – darunter viele Prominente gebeten – für sie zu schreiben. Unentgeltlich. Als Gegenleistung bot sie in den USA eine Plattform – die Huffington Post -, die andere Zielgruppen im Internet erreichte und die politisch offen und unabhängig war. Keine Selbstverständlichkeit in den USA. So schaffte sie es, die HuffPo zu einer wichtigen liberalen Stimme in den USA zu machen und wirtschaftlich erfolgreich zu sein. (Natürlich auch dank der vielen gratis zuliefernden Autoren.)

Wie man in Deutschland auf die Idee kommen kann, einen Cherno Jobatey zum Herausgeber der deutschen Ausgabe der Huffington Post zu machen, ist dann schon sehr kurios. Man kann von diesem TV-Moderator halten was man will, aber als Kämpfer für redaktionelle, rechtliche und wirtschaftliche Unabhängigkeit ist er nicht recht vorstellbar. Hier wurde die Position des Herausgebers für PR-Zwecke missbraucht. Und das in einem Verlagshaus, das sehr genau weiß, wie wichtig gute Herausgeber sind: Burda.

Herausgeber für Corporate Content

Wie schwer es ist, qualitative Inhalte zu produzieren ohne die schützende oder fördernde Hand eines Herausgebers, durfte ich ein ums andere Mal bei unterschiedlichsten Firmen erleben. Da werden gerne ambitionierte Content-Projekte entwickelt – und so lange dieses Projekt ganz oben vom Vorstand gut geheißen und vielleicht auch noch inhaltlich begleitet wurde, konnten sogar im kommerziellen Umfeld gute, ja sogar mutige Inhalte umgesetzt werden. Hier fungierte der Vorstand (oder zumindest einer seiner Mitglieder) als Herausgeber. Das motiviert dann auch die damit befassten Manager. Denn so kann man ja Punkte beim Vorstand gut machen.

Aber das ist meist nur eine Optimalsituation auf Zeit. Irgendwann hat der Vorstand ein anderes wichtiges Thema zu verfolgen und gibt die Verantwortung ab, stets mindestens eine Entscheidungsebene weiter nach unten. Hier beginnt dann schon bald eine qualitative Nivellierung. Die Manager der zweiten und dritten Ebene haben nicht das Standing – und auch nicht den Mut -, sich für eine Publikation Probleme einzuhandeln. Hinzu kommt, dass Manager im Mittelmanagement mit der Aufgabe eines „Herausgebers“ völlig überfordert sind. Und sie können in dieser Situation karrieremäßig wenig gewinnen, aber viel verlieren, etwa wenn ein Shitstorm über die Firma niedergeht.

Der CCO – Chief Communication Officer

Also versuchen die Manager, die Verantwortung für schwierige Content-Projekte möglichst schnell weiter zu delegieren. Natürlich wieder ein, zwei Hierarchiestufen nach unten. Und das verschärft das Dilemma nur noch weiter. Kompetenz, Interesse und Mut sind hier noch weniger verbreitet. Spätestens hier regierten dann nur noch Mutlosigkeit und Beliebigkeit. Und schnell ist der Punkt erreicht, wo solche Projekte schließlich mangels Erfolg eingestellt werden. Schuld sind natürlich die verantwortlichen Redaktionen und Agenturen, nie die Firma selbst.

Corporate Content wird für große Firmen aber immer wichtiger. Nur damit wird man sich in einer Daten- und Content-Gesellschaft noch wirkungsvoll profilieren können. Will man aber nicht ein ums andere Mal mit Content-Projekten, ob Blogs, (Web-)Magazinen, Social Media oder anderen (digitalen) Veröffentlichungen, scheitern, muss dafür gesorgt werden, dass die Verantwortung und das aktuelle Handling in die Hand eines Managers gelegt werden, der möglichst hoch in der Hierarchie des Unternehmens angesiedelt ist, möglichst direkt im Vorstand. Dieser „Herausgeber“ – oder nennen wir ihn CCO, Chief Communication Officer, ist die logische Konsequenz einer Wirtschaft, die immer mehr durch die Effekte von Publikationen, von Corporate Content bestimmt ist. Und je besser der CCO, desto besser – und mutiger – die Publikationsqualität und die Wirkung nach außen. Nur so werden große Marken in Zukunft leben – und überleben – können.

 

 

Corporate Content


Oder: Wie wächst man in die Herausgeber-Rolle?

Alle großen Firmen investieren heute klaglos in ihre Websites. Da wird auch nicht gespart. Vorausgesetzt es sind Einmalkosten. Für die laufende Betreuung hingegen wird gerne entweder gar kein Etat bereitgestellt oder viel zu wenig. Hier spiegelt sich noch die alte Kampagnen-Mentalität der Werbung wider. Einmal ein kreativer Kraftakt, aber dann muss Ruhe sein – und die Kunden brav kommen und ordern/kaufen/bezahlen.

Diese alte Gewohnheit, über Jahrzehnte im überkommenen Reklame-Business antrainiert, ist heute in Zeiten Digitaler Kommunikation und vor allem Sozialer Netze längst überkommen. Wer heute nicht permanent den Ball spielt, wer nicht kontinuierlich in Kommunikation investiert, wird mittel- und langfristig kaum Erfolg haben. Und in Kommunikation zu investieren heißt, konsequent Monitoring zu betreiben und unermüdlich Content zu produzieren.

Monitoring ist das Marktforschungstool der Gegenwart (und der Zukunft). Macht man das gut und intelligent (ja, dafür braucht es auch Human Brain!), dann erfährt man in Echtzeit und billig was die Kunden bewegt, was sie interessiert und was sie gegenbenenfalls wünschen. Das kann Marktforschung so kaum (mehr) liefern.

Sie kennen das Bild vom Unternehmen als Autofahrer? War Marktforschung immer nur der Blick in den Rückspiegel, anhand dessen man zielgerecht steuern sollte, so ist Monitoring heute mindestens der Blick zum Seitenfenster hinaus, manchmal erhascht man sogar einen Blick zur Frontscheibe hinaus nach vorne. (Und das bei stetig beschleunigender Fahrt!)

Und dann heißt es, auf diese Einsichten zu reagieren. Man muss also selbst kommunizieren, d.h. in letzter Konsequenz Content produzieren. Und der sollte gefälligst so interessant und spannend sein, dass er sein Publikum findet und fesselt. Das funktioniert aber nur mit Inhalten, die nicht glattpoliert und langweilig sind. Jeder erfolgreiche Medienmacher weiß, dass (nur) Inhalte, die Konflikte nicht scheuen, wirklich erfolgreich sein werden.

Um solche Inhalte zu produzieren, vor allem aber zu verantworten und die daraus resultierenden Konflikte ausstehen zu können, braucht es inhaltliche Kompetenz und eine gestandene Persönlichkeit. Oder schlicht gesagt, es braucht Mut. Gute Herausgeber von Medien haben den. Sie wissen, dass Zuschauerinteresse nicht für lau zu haben ist.

Und hier liegt die zentrale Crux von Corporate Content. Die Verantwortlichen für die Inhalte müssen lernen, Herausgeber zu werden, möglichst mutige und ingeniöse Herausgeber. Das ist nur schwer von Managern der mittleren Ebene, die ja noch Karriere machen wollen, zu erwarten. Da muß entweder ein erfahrener Dienstleister oder Fachmann von außen her, oder wenn man es partout selber machen will, muss aus dem Vorstand heraus Ermutigung kommen und klar gemacht werden, dass sich Mut und Entscheidungsfreude auszahlen.

Die neuen Herausgeber


Bratpfannen zu Content! Oder so…

Keine Frage. Gute journalistische Arbeit ist nur gegen (gutes) Geld zu haben. Gerade im Information Overflow ist man froh für jede Justierung von Tatsachen, für jede schlüssige Erklärung und natürlich besonders, wenn Missstände aufgezeigt werden – etwa durch investigativen Journalismus. Aber die Frage bleibt, wer das finanziert. Das müssen nicht zwangsweise Abonnenten von starken Medien (Zeitungen, Magazinen, TV-Anstalten etc.) sein.

RED BULLetin

Warum können das nicht ganz neue Medienanbieter sein. Zum Beispiel so kleine und wendige Neugründungen wie die Huffington Post. Oder warum nicht große Medien-Distributoren wie Vodaphone, die Deutsche Telekom, Verizon, AT&T etc. Warum nicht starke Konsumenten-Marken, die schon heute mehr und mehr Marketingmittel in eigene Medien stecken wie zum Beispiel Red Bull. Vielleicht ist ja investigativer Journalismus bald solch ein waghalsiger und riskanter Job, dass er zu einer Marke wie Red Bull passt (s.a. Red Bulletin).

Oder mal anders herum argumentiert. Wenn Medienunternehmen wie die Süddeutsche, Focus, The Guardian etc. Geld damit verdient, indem sie Wein verkaufen, DVDs oder auch Bratpfannen, warum sollten dann Produzenten von Bratpfannen (oder besser von anderen hochwertigeren Konsumentenprodukten) nicht umgekehrt in Qualitätsjournalismus investieren?

Warum sie das tun sollten? Alle großen Konsumentenmarken haben das Problem, dass sie die direkten Kundenbeziehungen an Amazon, Google und andere verlieren. Warum sollen sie den Kontakt zu ihren Kunden nicht durch gut gemachte Medien – also Journalismus – zurück zu gewinnen versuchen?

Qualitativer Journalismus kostet Geld. Aber die Frage bleibt offen, wer dafür zahlt. Womöglich in Zukunft nicht mehr (nur) der Leser oder Zuschauer. Hier hilft vielleicht ein kurzer Blick in die Geschichte des Journalismus. Die meisten Zeitungen und Magazine sind entstanden, weil Besitzer von Druckmaschinen einen Weg gesucht haben, ihre Druckpressen besser auszulasten. Dafür haben sie Magazine und Zeitungen gegründet – und Journalisten angeheuert. Alle großen Medienhäuser haben so angefangen. Und warum soll es heute anders sein. Wenn Produzenten einen Sinn in einem Engagement in Medien sehen…

Im Digitalen Zeitalter kann jeder Herausgeber sein. Jeder kann hochqualitativen Journalismus bieten – per Internet. Hans Mustermann ebenso wie große Marken. Und das müssen eben nicht zwangsweise große Medienmarken sein. Entsprechend absurd ist die Vorstellung von Paid Content als einzige Option einer funktionierenden Medienwelt. Medien haben die letzten Jahrzehnte immer davon gelebt, dass sie Marketingvehikel waren. Warum soll auf einmal einzig der Konsument für die Medien zahlen, bloß weil Marketing glücklicherweise heute das Geld nicht mehr in manipulative und impertinente Werbung investiert…