Die Zukunft holt mich ein


Trends 2015 – Ideen, Fakten Perspektiven

Manchmal überrascht der digitale Wandel selbst mich. Irgendwann vor ein paar Monaten erreichte mich eine Email vom Fischer Verlag, in der nachgefragt wurde, ob ich einem Reprint des Buches „Trends 2015“ zustimmen würde. Einzige Bedingung, drei Exemplare der damaligen Ausgabe zum digitalen Einlesen zur Verfügung stellen. Die Email kam von Fischer Digital, die das Buch, das Gerd Gerken und ich 1995 veröffentlicht haben, als eBook und als Reprint (on demand?) in Taschenbuchform neu auflegen wollten.

Trends 2015Und siehe da, heute wurden tatsächlich zwei gedruckte Belegexemplare geliefert. Das Buch ist als Ebook und als Taschenbuch bei den üblichen Verdächtigen (Amazon, Libri etc.) zu erwerben. Das freut mich wirklich. Ich denke aber, das Buch braucht eine kleine Bedienungsanleitung, um es zu verstehen – und gegebenenfalls wertzuschätzen. Die Kritiken zum Buch – teilweise noch im Netz – waren damals recht gut. Nur wenige Rezensenten lebten ihre generelle Aversion gegen Trendforschung und Zukunftsprognosen aus.

Die Zukunft der Zukunft

Ach ja, damals. Das Buch wurde in den Jahren 1991 bis 1994 geschrieben. Es entstand aus einer Artikelreihe in der Zeitschrift WIENER – Zeitschrift für Zeitgeist. Dort behandelten wir der Reihe nach Zukunftsszenarien für die unterschiedlichsten Themen. Von Zukunft der Liebe, Zukunft des Sex bis Zukunft des Sport oder Zukunft der Demokratie etc. Das Buch war dann eine Sammlung von überarbeiteten Versionen der Zeitschriftenartikel, um einige Themen und einen Einleitungs- und einen Schlussartikel – Die Zukunft der Zukunft – ergänzt.

1995 erschien das Buch als Paperback im Schweizer Scherz Verlag und verkaufte sich so gut, dass es 1998 von dtv als Taschenbuch herausgebracht wurde. Als Titel hatten Gerd Gerken und ich „Trends 2025“ gewählt. Das war dem Scherz Verlag zeitlich viel zu weit weg. Zitat: Keinen interessiert, was in 30 Jahren passieren wird. Also wurde der Titel zu „Trends 2015 – Ideen, Fakten, Perspektiven“ verjüngt. – So gesehen kommt der Reprint zeitlich richtig, nur eigentlich müsste er jetzt – endlich richtig – „Trends 2025“ heißen. Denn die Entwicklungen, die wir in dem Buch beschreiben, sind deutlich noch nicht abgeschlossen, sondern werden teilweise gerade im Moment erst virulent.

Multimedia statt Internet

Ich freue mich, dass das Buch jetzt wieder auf dem Markt ist. Für die Inhalte und Prognosen müssen wir uns nicht schämen. Im Gegenteil. Man muss das Buch nicht aus einer historischen Perspektive lesen – es bietet genug Polarisierungen und Provokationen, um auch noch heute lesenswert zu sein. Vor allem, weil wir mit einigen Prognosen ziemlich richtig lagen. Das lässt hoffen, dass wir auch beim Rest nicht so schlecht liegen – bei der Vorausschau bis in das Jahr 2025 – und darüber hinaus. Vor allem funktioniert das Buch besonders gut als Erklärung und Beschreibung  unserer Jetztzeit und der Gründe, warum es so gekommen ist – oder kommen musste.

Dabei weist das Buch eine große Kuriosität auf. Kein einziges Mal taucht im Buch der Begriff „Internet“ auf. Dieser Terminus war zu Redaktionsschluss Ende 1994 einfach noch nicht verbreitet und adaptiert. Wir haben uns im Buch bei der Beschreibung des „digitalen Zeitalters“ (Zitat!) mit Begriffen wie „digitale Kommunikationskanäle“, „Cyber“, „Virtualität“ und vor allem „Multimedia“ beholfen. Letzteres haben wir als interaktiv und immersiv definiert und als Ersatz für alle bisher existierenden Medien. Auch, dass dieses neue Hypermedium unser Sozialleben grundlegend ändern wird, haben wir prognostiziert. So gesehen haben wir das Internet und viele seiner Auswirkungen vorausgesehen – nur der Terminus war naturgegeben in den Jahren 1992 bis 1994 hierzulande noch nicht geläufig genug.

Auch bei einigen anderen Themen und Begriffen passiert das in dem Buch. So gut Zukunftsprognosen auch inhaltlich sein mögen. der Begriff, der sich dann letztlich durchsetzen wird, ist beim besten Willen nicht erahnbar. So hat das Buch an der einen oder anderen Stelle ein wenig – sprachliches – Patina angesetzt. Mich stört das nicht, im Gegenteil, es gibt dem Reprint fast ein wenig nostalgische Eleganz. Und es zeigt, wie schnell unsere Sprache auf die Veränderungen der Welt reagiert. Und trotzdem gibt es einige Begriffe, die bis heute auf eine schlüssige Benennung warten. Wir haben dazu einige brauchbare Vorschläge geliefert.

24 Kapitel über die Zukunft

Folgende 24 Themen behandeln wir in dem Buch :

  1. Schöne neue Welt – Einleitung für die Zukunft
  2. Die telematische Gesellschaft – Die Zukunft der Trends
  3. New Edge – Zukunft des Denkens
  4. Die Hyperrealisten kommen – Zukunft des Minds
  5. Die Generation von morgen – Zukunft der Generation X
  6. Die Liebe auf Probe – Zukunft der Liebe
  7. Cybersex und Sexpeace – Zukunft des Sex
  8. Das große Nagual – Zukunft der Freizeit
  9. Media goes Multimedia – Zukunft der Medien
  10. Bewusstsein durch Cyber – Zukunft der Kunst
  11. Die Bodyshow – Zukunft des Sports
  12. Spaß muss sein – Zukunft der Arbeit
  13. Family Business – Zukunft der Firmen
  14. Interfusion – Zukunft des Marketing
  15. Ode an den Code – Zukunft der Werbung
  16. Der Stoff, aus dem Gefühle sind – Zukunft der Mode
  17. Faster times, faster food? – Zukunft der Ernährung
  18. Der Fetisch der Mobilität – Zukunft des Autos
  19. Der Mythos des Homunculus – Zukunft der Gentechnologie
  20. Schluss mit Bambi – Zukunft der Ökologie
  21. Die freie Spiritualität – Zukunft der Religionen
  22. Das Ideal und der Ekel – Zukunft der Demokratie
  23. Neuentwürfe einer Ideologie – Zukunft der Ideologien
  24. Wir werden Schamanen, die träumen – Zukunft der Zukunft

Wie man sieht, sind wir keinem inhaltlichen Risiko aus dem Weg gegangen damals. Das ist vor allem das Verdienst von Gerd Gerken, der sich nie gescheut hat, auch kontroverse Themen sehr kontrovers, mutig und provokativ anzugehen. Ich bin ihm bis heute dankbar, dass er mich zwang, aus meiner ideellen und mentalen Komfortzone herauszukommen. Die ersten „gemeinsamen“ Kapitel waren noch ein Mitschreiben von meiner Seite mit dem Bemühen, Gerd Gerkens sehr eigene Sprache und Terminologie allgemein verständlich umzusetzen.

Raus aus der Komfortzone

Im Prozess der Arbeit an immer mehr Themen konnte ich mich dann mehr und mehr einbringen. Ich hatte immer besser gelernt. selbst kontrovers und „rücksichtslos“ zu denken – und zu schreiben. Am Ende der Entwicklung stand nicht nur dieses Buch, bei dem ich in Eigenregie das Einleitungskapitel schrieb – und Gerd Gerken standesgemäß das Schlusskapitel. Am Ende der Entwicklung stand auch meine Kündigung beim WIENER. Man muss nur das Kapitel „Zukunft der Medien“ lesen, dann versteht man, warum. Ich wechselte damals 1993 zur Werbeagentur „Scholz & Friends“ nach Hamburg, um dort deren Abteilung „Trend Research“ aufzubauen.

Und wie es das Schicksal so wollte, kam dann ein großer Trend auf, den man in Deutschland damals nicht ernst nehmen wollte (oder konnte): das Internet. Ich hatte so meine Probleme, meine Kunden von diesem Trend und seinen Implikationen zu überzeugen. Also arbeitete ich mich tiefer und tiefer in die Materie ein – und war dann plötzlich einer der wenigen „Experten“ fürs Internet in Deutschland – und wurde als Chefredakteur von Europe Online nach München abgeworben. Das war 1995, vor 20 Jahren. (Dazu bald mehr – hier an dieser Stelle.)

Gerd Gerken – der Urvater der deutschen Trendforschung

Ach ja, es wird heute dann doch Menschen geben, die Gerd Gerken nicht kennen. Ende der 80er- Jahre und in den 90er-Jahren war er ein gesuchter Coach (damals war der Begriff noch nicht so herabgewirtschaftet wie heute) und ein erfolgreicher Buchautor mit mehr als einem Dutzend Büchern über neues Marketing, Business, Firmenführung – und er war der erste ernst zu nehmende Trendforscher Deutschlands. Von ihm haben alle Trendexperten hierzulande gelernt. Nicht nur ich, auch Matthias Horx und etliche andere.

Gerd Gerken und ich arbeiten bis heute in unterschiedlichsten Projekten zusammen. Nicht mehr publizistisch, das ist nun mein Part. Aber wir versuchen, in immer neuen Projekten die Möglichkeiten der digitalen Kommunikation möglichst weit auszureizen. So gesehen war das Buch das Beste, was mir passieren konnte. Schön, dass es es jetzt wieder gibt. – Ich lese mich gerade wieder in ihm fest…