Meins! – Meins! – Meins!

Ende der Besitzstands-Kakophonie!

Die aktuelle Diskussion zum Urheberrecht erinnert mich an die köstlichen Filmszene in „Findet Nemo“, in dem die gierigen Möwen um den auf dem Pier gestrandeten Nemo sich in eine Beanspruchungs-Kakophonie hineinsteigern: „Meins!“ – „Meins!“ – „Meins!“ … Genauso beharren Rechteinhaber heute darauf, dass alle Inhalte ihnen gehören: „Meins!“ Auf der anderen Seite die Gratis-Medien-Apologeten, die alles für lau haben wollen: „Meins!“

Eine grundlegende Diskussion zum Thema Urheberrecht, oder genauer gesagt zu den Nutzungsrechten ist längst überfällig. Für die Vergütung von geistigem Eigentum muss genauso dringend und zügig ein neuer gesellschaftlicher Konsens gefunden werden wie zum Thema Privatsphäre. Beides sind Themen, die in der digitalen Welt und der Welt der Zukunft besonders essentiell sein werden, weil sie eine zentrale Rolle im Wirtschaftgefüge einer kommenden Netzwerk- und Innovationsgesellschaft spielen werden. Um so wichtiger ist es, dass die Diskussion aus dem Reklamierungs-Geschnatter („Meins!“) befreit und wirklich zukunftsperspektivisch diskutiert wird, anstatt Vergangenheitsrecht für die Zukunft zu zementieren, wie das ACTA will.

Blüte der virtuellen Produktion

Einen sinnvollen ersten Schritt zur Klärung der Debatte hat Max Winde in seinem Blog 343max geliefert. Er definiert, ganz ohne jede Parteinahme für oder gegen Content-Eigner, wie denn ein Interessenausgleich idealerweise aussehen könnte. Leider – oder besser: verständlicherweise – liefert er keine Lösung, wie eine angemessene Bezahlung von Werken geistigen Eigentums aussehen könnte, wie hoch sie sein müsste/könnte und was die Nutzer dieser Werke möglicherweise zahlen würden – und wie? Das sind die zentralen Fragen und – leider – dafür gibt es dafür (noch) keine wirklich innovative, keine kreative Lösung. Vielleicht auch nicht, weil die wirtschaftlichen Bedingungen, in denen die Ideen-Industrie und die Jäger der Urheber-Schätze der Zukunft arbeiten werden müssen, noch kaum angedacht sind. Aber das wäre einen Versuch wert:

Max Winde hat in seinem Beitrag schon einen guten Hinweis auf die künftige Wichtigkeit von ideeller Produktion geliefert. Zitat: „Urheber sollten nicht schlechter gestellt werden als Produzenten von physischen Produkten. Vielleicht sogar besser: Wenn jemand ein physisches Produkt herstellt, dann vernichtet er dabei der Allgemeinheit gehörende Ressourcen. Diese Vernichtung von Ressourcen können wir vermutlich nur bremsen, wenn wir die Produktion von ,virtuellen‘ Produkten ähnlich lukrativ machen wie die Produktion von physischen Gütern.“ Richtig, die Produktion im virtuellen Raum wird in Zukunft immens wichtig werden. Es ist leicht, sich über Farmville & Co. lustig zu machen, aber das sind frühe, embryonale Vorboten einer Zukunftsindustrie der Virtualität.

Dysfunktionalität durch Rechtestreit

Fakt ist, dass unsere Welt noch nie so viele Menschen beherbergen und ernähren musste wie heute. Und noch nie auf einem so hohen globalen Wohlstands-Niveau wie heute. Wir werden als Folge davon künftig unglaublich viele Krisen, Irritationen, Hysterien und Konflikte erleben – das ist in solch einem hochentwickelten, nervösen, komplexen Systemen unausweichlich. (Mit Griechenland & Co. üben wir das gerade auf Sandkasten-Niveau!) Aber das ist in und mit einer Network-Gesellschaft lös- und bewältigbar, weil man so innerhalb kürzester Zeit Ideen und Lösungen finden – und umsetzen kann.

Das geht aber nur, wenn solch eine Ideen-Produktion in der Lage ist, ungehemmt und schnell zu operieren. Da darf keine Abmahn-Industriemit mit irrwitzigen Forderungen Knüppel dazwischen werfen. Die Kriege zwischen den Eignern von Smartphone-Patenten wie Apple, Google, Samsung, Nokia, Microsoft & Co. geben da nur einen ersten Vorgeschmack, wie ein überkommenes Rechtesystem droht, eine Branche – und eine Innovations-Sparte – dysfunktional werden zu lassen. (Meins! – Meins! – Meins!) Es ist hier gut zu erahnen, dass man in dieser vernetzten, globalen, innovationsbeschleunigenden Welt mit Besitzstandsdenken nicht mehr weit kommt und das Sharing-Prinzip funktionaler ist. (Sicher auch gegen entsprechendes Entgelt.)

Die Ideenlieferanten funktionieren

Allzu große Sorgen, dass uns in Krisensituationen die Ideen und Lösungen ausgehen, brauchen wir uns nicht zu machen. Denn die große Mehrheit der globalen Internet-Gemeinde ist von ACTA und sonstigem Urheberrechts-Klüngel nicht betroffen: China, Russland, Indien, ja fast das komplette Asien und Afrika und Südamerika machen bei ACTA nicht mit. (Die Schweiz und Norwegen auch nicht!) Hier werden daher die Ideen-Schmieden der Zukunft  entstehen, die schnell, pragmatisch und nötigenfalls rücksichtslos handeln werden. Schon heute ist die Mehrzahl der Websites und der Web-Inhalte asiatisch…

ACTA Unterzeichner

Fragt sich, ob wir uns hierzulande freiwillig der eigenen Dysfunktionalität ergeben wollen oder ob wir aktiv im Ideen-Wettbewerb mitmachen wollen. Genug einzubringen hätten Europa (West), Amerika (Nord) plus Anhang. Wir haben das Erfinden erfunden. Wir waren über Jahrhunderte die Innovatoren der Welt, im Guten wie im Schlechten. In uns müssten noch reichlich die Meme des Erfindergeistes vorrätig sein. Es wäre fatal, wenn statt ihrer die Häme der Ideen-Verwertungs-Industrie obsiegt.

Längere Fristen in einer beschleunigenden Welt

Es ist ein Treppenwitz der Geschichte, dass ausgerechnet Disney in der Sucht, sein Film und Figuren-Repertoire länger monetarisieren zu können, die Laufzeiten von Urheber- und Nutzungsrechten auf 70 Jahre verlängert hat. Das gab es nie zuvor. Und wir in Europa machen da brav mit. Und jetzt sind die Schutzzeiten so lang, dass sie wirkungsvoll zur Dysfunktionalität einer Ideen-Industrie beitragen.

In Zukunft, wenn es immer schneller immer mehr Ideen geben wird (s. o.), dann haben sie automatisch eine kürzere Laufzeit. Es ist also widersinnig, ihnen eine längere Rechte-Geltungsdauer zu geben. Wie will ein Rechteinhaber einer davorliegenden Idee gegen die darauf aufbauende seine Rechte einklagen, wenn die Welt- und Wirtschaftsgeschichte längst schon etliche Kapitel weiter ist?

Das Ende des Fortunismus

Die Vorstellung, dass Ideen eine Ewigkeit gelten und entgolten werden müssen, ist wohl auch der Angst geschuldet, nur eine begrenzte Zahl von Ideen haben zu können. Solche Ängste führten dazu, dass man Ideen ausgiebig verwerten wollte. Es ist ja kein Zufall, dass ausgerechnet die Film- und Musikbranche so sehr für ACTA kämpft. Zwei Industrien, in denen man Glück haben musste, um sein „Glück zu machen“. Ein Hit, und man war reich. Aber die Mehrzahl der Songs waren Flops. „Fortunismus“ nennt Peter Sloterdijk diese Art von kulturell sanktioniertem Glücksspiel.

Die Vorstellung, nur eine begrenzte Zahl an geistigen Werken in einem Leben schaffen zu können und davon umfangreich zehren zu müssen, ist mit einem Blick in die Zukunft absurd. Früher, zugegeben, waren erfolgreiche Ideen Mangelware, weil es schwierig war, dafür das nötige Publikum zu bekommen. Diese Wirtschaft der Verknappung ist seit dem Internet und seinen unendlichen Optionen der Wahrnehmung vorbei. Die Angst, Ideen könnten nur begrenzt vorhanden sein, ist in einer Netzwerk-Gesellschaft absurd, denn sie können hier so viel leichter und schneller entstehen. Und damit hat der Fortunismus ausgedient. Es reicht nun nicht mehr, eine oder wenige gute Ideen oder Werke zu schaffen. Jetzt muss man kontinuierlich, ein (langes!) Leben lang neue Ideen, Werke und Projekte entwickeln. (Ganz wie im richtigen Leben…)

Der Anfang von etwas radikal Neuem

Natürlich müssen gute, wichtige Ideen entlohnt werden, keine Frage. Je besser sie sind, mit um so mehr Geld. Und wenn es viel Arbeit, Planung und Investition gebraucht hat, um etwa eine Software zu entwickeln und zur Marktreife zu bringen, umso mehr. Trotzdem wäre es falsch und (zukunfts-)wirtschaftlich unvernünftig, auch hier zu lange Nutzungsfristen zu gewähren. Denn gute Ideen müssen sich verbreiten, und das schnell – und sie müssen weiterentwickelt werden. Die logische Folge: Schluss mit dem bisherigen Anspruchs-Denken! Her mit radikal neuen Ideen!

Mein Freund Helmut Müller, selbst Produzent hochspezialisierter Software, schreibt in einer Replik auf meine Facebook-Empfehlung des Blogs von Max Winde richtig: „Wir können alle miteinander die Auswirkungen der Digitalen Revolution auf unser ökonomisches, kulturelles und soziales System noch gar nicht abschätzen, wir sehen schemenhaft den Anfang von etwas radikal Neuem. Die Diskussion um das Urheberrecht lässt uns das erahnen, denn sie wird sich ergebnislos im Kreis drehen.“ – Der Anfang von etwas radikal Neuem, kann das nicht so aussehen? Eine Innovations-Gesellschaft mit einer ungeheuren Dynamik, die man lustvoll genießen kann. Und in der wundervolle Ideen (aber auch doofe) entstehen werden, en masse.

Aber wer wie und wie viel Geld damit verdient und wer wem wie viel Geld zahlt, das bleibt zu klären. Diesen Konflikt zwischen freier Verfügbarkeit von Ideen und angemessenem, unbürokratischem Entgelt zu lösen ist jetzt die große Aufgabe für unsere digitale Netzwerkgesellschaft. Aber eine Idee dafür ist nur zu finden, wenn man von den alten Zöpfen der Kreativ-Kultur und der Kreativ-Verwertung und von seinen Limitationen und Ängsten Abschied nimmt. Schluss mit „Meins! – Meins! – Meins!“

P.S.; Ein erster guter Ansatz eines zeitgemäßen Urheberrechts hat Marcel Weiß im ZDF Hyperland formuliert: Kürzere Schutzfristen, keine automatische Verlängerung, Opt-In statt Automatik, Erlaubnis der privaten Nutzung…

P.P.S.: Und hier bei neunetz.com eine sehr schlüssige Argumentation, warum es „geistiges Eigentum“ nicht geben kann – und nicht geben soll.

4 Kommentare zu „Meins! – Meins! – Meins!

  1. Tatsächlich ist das Geld ja da: Wenn man zusammenrechnet, was ein schneller Internet-Zugang kostet (den man ja nicht für E-Mail benötigt), was man via GEZ für Content zahlt und was schließlich vielleicht noch ein Abo bei einem Filesharing-Dienst kostet, ist man schnell bei deutlich über 50 Euro im Monat. Die muss man dann nur noch verteilen

  2. Mann Leute…wenn hier auch nur einer dabei wäre, der wüßte, was es heißt, etwa ein Buch zu schreiben, oder ein Stück Musik, oder einen Film zu drehen o.ä., dann würde hier nicht so ein hahnebüchener Stuss unwidersprochen bleiben…
    Nur ein Beispiel, stellvertretend für vieles andere:
    Die Tatsache, das etliche asiatische Länder (s.o.) ACTA nicht beitreten, bedeutet schlicht, das sie die Ideenklauer von heute bleiben (!), und nicht etwa die „Ideenschmieden von Morgen“ werden wollen…
    Was im Augenblick läuft, vorgetragen durch Milliarden von Mouse-Clicks der Millionen Naiven auf fremden Content und begleitet von Bloggern nicht selten ohne jeglichen Sachverstand, ist eine Vernichtung der Existenzgrundlagen der Kreativen weltweit!
    Das nenne ich die Kakophonie der Unkreativen…

    Holger Biedermann (Musiker, Autor)

    1. Der Vorwurf noch nie ein Buch oder einen Film produziert zu haben, läuft bei mir nun ja leider ins Leere – aber das ist nicht der Punkt. Was ich aus China weiß, sind sie dort was Filme oder Websites (plus Inhalte) schon lange keine Copycats mehr, sondern zeigen eine unglaubliche Kreativität. Und überhaupt, bitte nicht von den Formaten ausgehen (Buch, Film), die wir heute kennen, wenn wir in die Zukunft denken. Das wird künftig ganz anders aussehen. YouTube und Ebooks geben erste Hinweise darauf. Guter Tipp zu dem Thema der Artikel von Seth Godin: http://www.thedominoproject.com/2012/02/the-end-of-paper-changes-everything.html

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