Ingo Appelt for President!

Die Absurdität der Politik in Italien

Stell Dir vor, alle Politiker, die Du als Kind als Staatsmänner geachtet und vielleicht bewundert hast, stellen sich als korrupt oder sogar als Marionetten der Mafia heraus. Stell Dir vor, alle Parteien, mit denen Du groß geworden bist, lösen sich im Laufe der Jahre aufgrund von Korruption, Intrigen, Rivalitäten und Inkompetenz ins Nichts auf. Die beliebten, grandiosen Sommerfeste, die diese Parteien in Deinem Dorf, Deiner Stadt organisiert haben, gibt es einfach nicht mehr.

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Und stell Dir vor, Du erlebst ganz real mit, wie der Bürgermeister und die Gemeinderäte in Deinem Dorf oder Deiner Stadt sichtbar immer nur den eigenen Vorteil im Auge haben. Und Du musst, willst Du auf Deinem Grund ein Haus bauen oder auch nur ein Bett im Krankenhaus bekommen, mit einem dieser „Volksvertreter“ gut bekannt, am besten befreundet sein, damit das klappen kann. Oder Dein Sohn oder Deine Tochter suchen einen Arbeitsplatz oder auch nur einen unbezahlten Praktikumsplatz und Du erlebst, dass ohne Beziehungen nichts geht, aber auch rein gar nichts.

Die Scheindemokratie der Selbstversorger

Und Du erlebst, wie in Politik, Wirtschaft und Kirche immer wieder von Veränderung die Rede ist, von Wandel, von Neuanfang – und nichts passiert. Es wird nur alles immer schlimmer: die Straßen immer maroder, die Bahnverbindungen rarer, die Preise immer höher – und die Schulden immer höher. Deine eigenen und die des Staates.

Und dann stell Dir vor, dass einer der dubiosesten Wirtschaftsbosse plötzlich beschließt, Politiker werden zu wollen. Und er schafft das, weil die meisten Fernsehsender und Zeitungen des Landes ihm gehören und die Parteien eine Wahlrechtsreform beschlossen haben, von der sie sich irrigerweise sichere Wahlgewinne versprochen haben. Und zu jeder Wahl werden dann die Wahlbezirke neu bestimmt, teilweise in absurden regionalen Grenzen, weil sich so die Parteien bessere Gewinnchancen ausrechnen.

Demokratur oder Basisbewegung

Wie fühlt man sich wohl, wenn man als normaler, wenigstens ein wenig engagierter Staatsbürger in solch einem Land lebt und vor einer neuen Wahl steht. Und gerade hast Du erlebt, wie der letzte Erneuerer, der das alte System „verschrotten“ wollte, an seiner eigenen Eitelkeit und der manischen Sucht nach Macht gescheitert ist. Was wählt man dann? Wem vertraut man dann noch? Sicher ist, keinem aus dem etablierten Polit-Establishment. Denn die versprechen einmal mehr das Blaue vom Himmel herunter obwohl jeder weiß, dass sie nichts davon halten werden.

Dann bleiben einem in Italien, und von diesem Land ist hier die Rede, nur zwei Möglichkeiten. Option 1: Entweder man ist dumm, naiv oder autoritätshörig und fällt auf den Populismus und das Starke-Mann-Gehabe der Rechten herein. Die wollen bestenfalls eine Demokratur, aber besser gleich die Abschaffung der Demokratie und rabiate Gesetze. Und sie nutzen geschickt und perfide die Angst vor den Fremden – und davon gibt es in Italien, dem mit Abstand von Flüchtlingen am meisten angesteuerten Land mit seinen ewigen, kaum kontrollierbaren Grenzen, mehr als genug – mehr als sonstwo in Europa.

Ein Comedien als Politiker

Wer nicht in diese Kategorie gehört, dem blieb bei der Wahl Anfang März 2018 nur Option 2: Der konnte eigentlich nur das MoVimento 5 Stelle, kurz M5S wählen. Eine Basis-Bewegung, die erklärtermaßen keine Partei ist. Und wie das bei neu gegründeten Bewegungen ist, sammeln sich hier allerlei unterschiedliche Menschen. Kluge, engagierte, integere Menschen, und das ist erlebbar die Mehrheit. Sie alle vereint die Ablehnung der etablierten Politik. Aber natürlich gibt es auch weniger kompetente, eigenartige und auch sinistere Menschen. So wie im richtigen Leben.

M5S macht es leicht, aus etablierter Sicht die Nase zu rümpfen. Nicht nur weil hier auch  Politneulinge am Werk sind, sondern auch weil der Kopf und Initiator der Bewegung, Beppe Grillo, einst ein Comedien war, dessen herbe Verspottungen von Politikern nicht mehr dem Begriff „Kabarett“ gerecht werden. Das ist in etwa so, als hätte in Deutschland Mario Barth eine politische Bewegung gegründet oder besser: eine Mischung aus Ingo Appelt (was die Tonwahl angeht) und Dieter Nuhr (wenn es um Analyse geht).

Buntes Programm-Potpurri

Das ist gewöhnungsbedürftig, aber die Gewöhnung an das M5S wird erleichtert u. a. durch die Tatsache, dass M5S keine Wahlkampferstattung kassiert, dass die Abgeordneten 70 Prozent ihrer – in Italien notorisch stattlichen – Diäten in Förder-Fonds für die jeweiligen Regionen geben. Und in fast allen Kommunen, von Sizilien bis Turin, in denen sie das Sagen haben, haben sie gute Arbeit geleistet – und vor allem haben sie sich nicht korrumpieren lassen. Und Ausnahmen bestätigen die Regel: Aber das Versagen der M5S-Bürgermeisterin in Rom ist nicht zuletzt den mafiösen Strukturen (u. a. der Altparteien) der Stadt geschuldet, die sich erfolgreich gegen Änderung sperren.

Das MoVimento 5 Stelle hat programmatisch viel zu bieten. Eher zu viel. Neben ehrenvollen Zielen wie ein z. B. Grundeinkommen gibt es auch eine Menge unausgegorener Ideen und schmerzhafter Widersprüche – zum Beispiel zur Flüchtlingsfrage. Aber so ist das, wenn man eine Bewegung ist, in der Ideen und Konzepte im Wettstreit sind und nicht in Hinterzimmern ausbaldowert werden.

Alternativen nicht gewünscht

Noch ist das M5S im Entwicklungsstatus. Alle sind gespannt, wo das noch hinführen wird. Auch innerhalb der Bewegung. Vor allem jetzt, wo die Bewegung die Wahlen gewonnen hat – ohne eine Mehrheit zu erreichen. Springen sie jetzt über ihren Schatten und arbeiten mit einer „etablierten“ Partei zusammen? Und wollen die das überhaupt? Und wenn ja, welche Politik wird gemacht? Rechts oder links oder keines von beiden? Bestenfalls sogar eine, die eine Alternative zur stromlinienförmigen Politik der Etablierten in Europa aufzeigt.

Dabei mag sie vielleicht auch schmerzhaft sein, diese Alternative, weil sie übers Ziel hinausschießt oder schlicht falsch ist. Aber vielleicht besser so, als es gar nicht zu versuchen, wie wir es hier in Deutschland gewohnt sind. Dank Merkel und ihrer „Alternativlosigkeit“. Sicher ist, dass sie hierzulande nicht mit Interesse und Verständnis begleitet werden wird, sondern garantiert nur immer neue Untergangs-Szenarien beschrieben werden: Ende der EU, Italxit, Griechenland II etc.

Unsere Pressemüdigkeit kommt nicht zuletzt auch daher, dass man sich als interessierter Bürger oft nicht umfassend und kompetent informiert fühlt. Mag zum einen eine gewisse Konventionsnähe sein, mag Ideologie sein, mag Veränderungsangst sein; vielleicht aber auch schlicht Denkfaulheit oder Lust am Negativen. Angstszenarien lesen sich besser, verkaufen sich besser und passen besser in unsere gängigen Filterblasen als nachdenkliche Features und Artikel, die dem Leser noch Denk- oder Entscheidungs-Leistungen abfordern.

Ich bin gespannt …

 

 

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